N 168
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AdJb, N 168
Bestand
Identifikation (kurz)
Titel
Titel
Wolters, Gottfried (1910-1989)
Bestandsdaten
Aufsatz
Aufsatz
Der Chorpädagoge, Singleiter, Chordirigent, Lektor, Herausgeber und Komponist Gottfried Wolters hat mit seinem Schaffen zahlreiche Impulse setzen können und das deutsche und internationale Musikleben geprägt, nicht zuletzt als Initiator europäischer Gemeinschaftsprojekte.
Das Ende der Studienzeit von Gottfried Wolters fiel mit dem Machtantritt der NSDAP zusammen. 1933 arbeitete er als Doktorand von Ernst Bücken in Köln an einer Doktorarbeit über Johann Vanhals Sinfonien. In einem laufenden Institutskonflikt um Ernst Bücken setzte er sich aktiv für seinen Doktorvater ein und wurde in einem anschließenden Verfahren vom Institutsleiter für kurze Zeit vom Institut ausgeschlossen. Die Dissertation hat er nicht mehr eingereicht. Im Anschluss war Gottfried Wolters kurzzeitig als Musikkritiker tätig, arbeitete als Lektor für den Kölner Tonger-Verlag und begann freiberuflich zu komponieren. Auch erste Chorleitertätigkeiten fallen in diese Zeit, u.a. als Oberscharführer der HJ. Nach seiner Einberufung wurde er 1941 zum Leiter einer Singeleiterschule der Kriegsmarine ernannt. Dass er anfangs der nationalsozialistischen Ideologie durchaus nahe stand, erläutert Albrecht Dümling: "Auf Adolf Hitler setzte er damals große Hoffnungen. 'Wir haben ihn gefunden, den Führer aus der Not', heißt es in einem HJ-Lied, das Wolters 1934 komponierte. Verse von dem als 'Homer der SA' gepriesenen Lyriker Herybert Menzel verwendete er 1936 für seine noch im gleichen Jahr im Kölner Gürzenich aufgeführte Kantate 'Marsch ins Jahrtausend', die mit dem Titellied 'Männer werden und Kolonnen fallen' den Heldentod fürs Tausendjährige Reich pries. […] Wenn er auch gegen die Verfemung Paul Hindemiths protestierte, so war das doch keine prinzipielle Opposition gegen den Nationalsozialismus" (Dümling, 2010). Demgegenüber wird auch berichtet, wie Wolters in den letzten Kriegsjahren in seinen Lehrgängen eine ablehnende Haltung gegenüber dem Regime offen zu verstehen gab (siehe z.B. Brief von Gerlinde Löw vom 10.01.1994 mit Erinnerungen an 1944 [N 168 Nr. 3]).
Nach dem Krieg zeigen seine Aktivitäten eine bewusste Neuorientierung, da er sich mit seinen Chorfestivals und Singwochen für Verständigung innerhalb Europas eingesetzt hat, und gewissermaßen die Musik im Sinne einer Sprache des Friedens ausübte (s.u.). Auch seine Hinwendung zu bestimmten Komponisten wie Hugo Distler sind vor diesem Hintergrund zu bewerten. Wolters' biografischen Wandel bringt Matthias Pasdzierny in Kurzfassung auf den Punkt: "Gottfried Wolters, der sich als Vertreter der zweiten Generation der Jugendmusikbewegung vom Komponisten zahlreicher Soldaten- und HJ-Lieder bzw. -Feiermusiken zu einem der einflussreichsten 'jugendbewegten' Chorleiter und -komponisten der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit entwickeln sollte." (Pasdzierny, 2014, S. 518)
Wolters' Tätigkeit bei der Kriegsmarine legte den Grundstein für seine spätere intensive Chorarbeit und seinen Einsatz in Singwochen und Kursen – zumal er in dieser Zeit zum ersten Mal Fritz Jöde, Walther Hensel, Willi Träder und anderen Akteuren der Jugendmusikbewegung begegnete. Dies resümiert er selbst: "In Berlin lernte ich die Spielschar unter dem unvergesslichen Willi Träder kennen – mit hervorragenden Leistungen. Dort hörte ich den ersten Mörike-Distler! Als Marine-Angehöriger hatte ich besonderen Bezug zum norddeutschen Raum, zu Hamburg. Das führte zu einer Begegnung (und Sendung) mit der Hamburger Rundfunk-Spielschar unter Heinrich Schumann. […] Schließlich will ich nicht vergessen, dass ich während des Krieges Begegnungen mit Wolfgang Stumme und Hans Baumann hatte – späte, sehr eindrucksvolle Begegnungen, die zu bleibenden menschlichen Bindungen geführt haben." (Hildegard Krützfeldt-Junker, 1987, S. 38 [N 168 Nr. 82])
Nach dem Krieg kehrte er 1945 aus englischer Gefangenschaft zurück und begann bereits 1946 seine Lektoratstätigkeit für den Möseler-Verlag, die er über mehrere Jahrzehnte freiberuflich fortgesetzt hat. Als Lektor führte die intensive Zusammenarbeit mit den Komponisten zu einigen persönlichen Verbindungen, z.B. mit Felicitas Kukuck [N 168 Nr. 103] und Hans Baumann [N 168 Nr. 99 und 100]. Aus der erneuten Zusammenarbeit mit Fritz Jöde resultierte 1947 die gemeinsame Neugründung der Musikantengilde in Hamburg. Durch seine Initiativen hatte Wolters Anteil an ihrer Umstrukturierung, die sich in Namensänderungen niederschlug, über Arbeitskreis Junge Musik zu Arbeitskreis Musik in der Jugend. Wolters war einige Jahre im Beirat des Bundesvorstandes, und 1952-59 einer von drei Vorsitzenden sowie 1964-70 alleiniger Bundesvorsitzender des Arbeitskreises.
Ende der 1940er Jahre begann Wolters wieder mit Lehrgängen und Singwochenenden, aus denen sich ein fester Kreis von Sängerinnen und Sängern entwickelte, der schließlich 1950 zum "Norddeutschen Singkreis" benannt wurde. Wolters verlieh diesem Chor einen ganz unverkennbaren Charakter und arbeitete mit Enthusiasmus an seinem hohen Niveau. In ihrem Nachruf auf Wolters hebt Lore Auerbach hervor: "Gottfried Wolters Norddeutscher Singkreis erfüllte jahrelang eine Leitbildfunktion für das Chorsingen in Literatur und Stil. Die heutigen Spitzenchöre der Deutschen Laienmusik sind alle direkt oder indirekt davon geprägt" (Auerbach, 1989 [N 168 Nr. 109]). Eine Intensivierung der Chorarbeit war auch deshalb möglich geworden, da Wolters 1950 an die Hamburger Musikhochschule berufen worden war und seinen Lebensmittelpunkt an die Elbe verlagerte (allerdings endete seine Tätigkeit dort schon 1952 nach einer Auseinandersetzung mit dem Hochschuldirektor Philip Jarnach). Bei der Singarbeit hatte Wolters zwar das Vorbild Jödes vor Augen: "Jöde, das war der Mann, der viele (möglichst alle?) Menschen zur Musik führen wollte – über das Singen! Das bewunderte ich – denn etwas Ähnliches wollte ich […] auch, freilich nicht so sehr in aller Breite und mehr auf der Suche nach handwerklich fundierter Leistung", aber distanzierte sich gleichermaßen von ihm durch seinen eigenen Weg zu mehr Professionalität: "Wieviel Sorge bereitete ihm [Jöde] mein Abtreiben ins fast 'Professionelle' – aber ich wollte aus dem üblichen Dilettantismus des Laienmusizierens heraus, wo er mich vielleicht ins 'Elitäre' abschwimmen sah" (in: Krützfeldt-Junker, s.o., S. 36-37). Wolters muss eine große Begabung in der Chorleitung, ein besonderes Gespür für sängerische Feinheiten und jeweils ganz persönliche Stärken der Einzelnen gehabt haben, wie aus zahlreichen Erinnerungen hervorgeht.
Mit seinem Repertoire setzte der "Norddeutsche Singkreis" neue Akzente, denn in der Programmgestaltung lagen die Schwerpunkte sowohl auf alter Musik, u.a. von Monteverdi, Schütz, Josquin, Palestrina, Buxtehude u.a., als auch auf zeitgenössischen, der Jugendmusikbewegung nahe stehenden Komponistinnen und Komponisten wie z.B. Felicitas Kukuck, Günter Bialas, Heinz Lau, Ernst Pepping oder Jens Rohwer, teilweise in Verbindung mit Uraufführungen. Vor allem standen immer wieder Werke von Hugo Distler im Zentrum (s.o.). Zu besonderen Höhepunkten zählen sicherlich eine Aufführung von Carl Orffs "Catulli Carmina" vor dem Komponisten selbst sowie ein Privatkonzert für Paul Hindemith, beides im Jahr 1954.
Schon vor der Namensgebung nahm der Chor Konzerte für den Rundfunk auf, später wurden Aufnahmen und Sendungen für den Rundfunk ein fester Bestandteil der Chorarbeit. Unter anderem nahm Wolters die 1927 von Jöde begonnene Tradition der Rundfunksingstunden auf. Zu den wichtigsten Sendungen zählt sicherlich die Sendereihe "Das Singende Jahr", die vor allem in den Jahren 1951 bis 1954 vom NWDR ausgestrahlt wurde. Die Sendungen waren mit Offenen Singen verknüpft, in denen Wolters mit seiner persönlichen Ausstrahlung und enthusiastischen musikalischen Arbeit regelmäßig eine Vielzahl von Sängerinnen und Sängern begeistern konnte. Parallel gab Wolters im Möseler-Verlag die gleichnamige Liedblattreihe heraus, die sich großer Beliebtheit erfreute (erwähnt werden 30.000 Abonnenten), so erinnert sich auch Lore Auerbach: "Die Liedblattreihe 'Das Singende Jahr' stellte neues Liedgut und Lieder aus dem europäischen Erbe zur Verfügung. Nur wer diese Zeit miterlebt hat, kann ermessen, wie begierig wir damals auf die neuen Quartalsfolgen warteten!" (Auerbach, s.o.)
Ausgehend von seiner Arbeit in Offenen Singen, in denen Wolters nicht nur auf Volkslieder beschränkt blieb, sondern auch an differenziertere Chormusik heranführen konnte (mit Bachschen Passionen zum Mitsingen für alle begründete er eine neue Art des musikalischen Erlebens), erweiterte er nach 1960 seine Tätigkeit auf eine internationale Ebene. Durch eine enge Freundschaft mit César Geoffray bekam er Kontakt zur französischen Chorszene und war mehrfach bei Veranstaltungen der Chorbewegung "A Coeur Joie" zu Gast. Wolters engagierte sich für die Organisation internationaler Chorfeste und gehörte zu den Initiatoren der Europäischen Föderation Junger Chöre. Im Jahr 1961 fand das Chorfest "Europa Cantat" zum ersten Mal in Passau statt; die Einbindung von Offenen Singen in das Gesamtprogramm geht auf Wolters zurück, der diese Großveranstaltungen für hunderte Singbegeisterte aus ganz Europa über Jahre hinweg durch seinen eigenen Charakter prägte. Marcel Corneloup, Chorleiter und Mitgestalter der französischen Chorbewegung, betont den europäischen Geist dieser internationalen Begegnungen: "Wir haben deutlich das Gefühl, daß sich während einer solchen Stunde ein europäisches Bewußtsein gebildet hat. […] Mit Gottfried Wolters haben wir gelernt, daß unser Europa sich so schaffen läßt: niemals Leichtfertigkeit, weder im Repertoire noch in der Ausführung. Alles soll uns dahin bringen, das Höchste zu erlangen" (Corneloup, 1989, Übersetzung Wiltrud Kipping [N 168, Nr. 109]).
1968 gab Wolters die Leitung des Norddeutschen Singkreises auf und wandte sich vermehrt Lehrgängen zu. Zu einer jährlich wiederkehrenden Institution wurden die Chor- und Instrumentalwochen in Hinterschmiding. Außerdem war er auch zunehmend mit Lehrgängen im Ausland aktiv, u.a. in Frankreich, Belgien, den Niederlande, Dänemark, Norwegen und Österreich.
Als Herausgeber war Wolters bis an sein Lebensende tätig. Einige seiner Veröffentlichungen, wie die schon erwähnte Liedblattreihe "Das Singende Jahr", standen in direktem Zusammenhang mit seiner eigenen Chortätigkeit. Dazu gehörten neben der Ausgabe von Monteverdis "Marienvesper" auch Ausgaben mit Werken von Bach, Gabrieli, Brahms, Lasso, Carissimi, Schütz u.a. Am "Chorbuch Romantik" arbeitete er in seinen letzten Lebensjahren, es erschien posthum 1990. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Herausgebertätigkeit waren Lieder- und Chorbücher für die Schule. Insbesondere die 1962 bis 1971 erschienene fünfbändige Reihe "ars musica", die Volkslieder sowie weltliche und geistliche Chorsätze umfasst, erfuhr große Verbreitung. Zu den Inhalten eines seiner Liederbücher gab es allerdings einen kritischen Disput: Das von Wolters (mit Renate Krokisius) 1963 hrsg. Liederbuch für die Mittel- und Oberstufe "Singende Schule, Bd. II" wurde in ersten Gutachten stark kritisiert, u.a. wurde der Vorwurf einer Einbeziehung von Liedguts der HJ gemacht [zur Kritik von Helmut Segler und Lars Ulrich Abraham siehe N 168 Nr. 80-81].
Eine wesentliche Errungenschaft von Gottfried Wolters war es, das Laienmusizieren auf ein höheres Niveau zu bringen. Insbesondere seine Tätigkeit als Chor- und Singwochenleiter war einflussreich für nachfolgende Generationen, da aus seinem Chor, seinen zahlreichen Lehrgängen und Chorwochen viele Musikpädagogen, Chorleiter und Musiker hervorgegangen sind, die seine Ideen und musikalischen Vorstellungen weitergetragen haben. Ebenso prägend war seine länderübergreifende Tätigkeit, die den Gedanken einer europäischen Gemeinschaft schon früh auf der Ebene der Musik auf den Weg brachte, gleichzeitig auch Aufführungsformen wie das Offene Singen in andere Länder trug und dort neue Ausprägungen hervorbrachte.
(Amrei Flechsig)
Das Ende der Studienzeit von Gottfried Wolters fiel mit dem Machtantritt der NSDAP zusammen. 1933 arbeitete er als Doktorand von Ernst Bücken in Köln an einer Doktorarbeit über Johann Vanhals Sinfonien. In einem laufenden Institutskonflikt um Ernst Bücken setzte er sich aktiv für seinen Doktorvater ein und wurde in einem anschließenden Verfahren vom Institutsleiter für kurze Zeit vom Institut ausgeschlossen. Die Dissertation hat er nicht mehr eingereicht. Im Anschluss war Gottfried Wolters kurzzeitig als Musikkritiker tätig, arbeitete als Lektor für den Kölner Tonger-Verlag und begann freiberuflich zu komponieren. Auch erste Chorleitertätigkeiten fallen in diese Zeit, u.a. als Oberscharführer der HJ. Nach seiner Einberufung wurde er 1941 zum Leiter einer Singeleiterschule der Kriegsmarine ernannt. Dass er anfangs der nationalsozialistischen Ideologie durchaus nahe stand, erläutert Albrecht Dümling: "Auf Adolf Hitler setzte er damals große Hoffnungen. 'Wir haben ihn gefunden, den Führer aus der Not', heißt es in einem HJ-Lied, das Wolters 1934 komponierte. Verse von dem als 'Homer der SA' gepriesenen Lyriker Herybert Menzel verwendete er 1936 für seine noch im gleichen Jahr im Kölner Gürzenich aufgeführte Kantate 'Marsch ins Jahrtausend', die mit dem Titellied 'Männer werden und Kolonnen fallen' den Heldentod fürs Tausendjährige Reich pries. […] Wenn er auch gegen die Verfemung Paul Hindemiths protestierte, so war das doch keine prinzipielle Opposition gegen den Nationalsozialismus" (Dümling, 2010). Demgegenüber wird auch berichtet, wie Wolters in den letzten Kriegsjahren in seinen Lehrgängen eine ablehnende Haltung gegenüber dem Regime offen zu verstehen gab (siehe z.B. Brief von Gerlinde Löw vom 10.01.1994 mit Erinnerungen an 1944 [N 168 Nr. 3]).
Nach dem Krieg zeigen seine Aktivitäten eine bewusste Neuorientierung, da er sich mit seinen Chorfestivals und Singwochen für Verständigung innerhalb Europas eingesetzt hat, und gewissermaßen die Musik im Sinne einer Sprache des Friedens ausübte (s.u.). Auch seine Hinwendung zu bestimmten Komponisten wie Hugo Distler sind vor diesem Hintergrund zu bewerten. Wolters' biografischen Wandel bringt Matthias Pasdzierny in Kurzfassung auf den Punkt: "Gottfried Wolters, der sich als Vertreter der zweiten Generation der Jugendmusikbewegung vom Komponisten zahlreicher Soldaten- und HJ-Lieder bzw. -Feiermusiken zu einem der einflussreichsten 'jugendbewegten' Chorleiter und -komponisten der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit entwickeln sollte." (Pasdzierny, 2014, S. 518)
Wolters' Tätigkeit bei der Kriegsmarine legte den Grundstein für seine spätere intensive Chorarbeit und seinen Einsatz in Singwochen und Kursen – zumal er in dieser Zeit zum ersten Mal Fritz Jöde, Walther Hensel, Willi Träder und anderen Akteuren der Jugendmusikbewegung begegnete. Dies resümiert er selbst: "In Berlin lernte ich die Spielschar unter dem unvergesslichen Willi Träder kennen – mit hervorragenden Leistungen. Dort hörte ich den ersten Mörike-Distler! Als Marine-Angehöriger hatte ich besonderen Bezug zum norddeutschen Raum, zu Hamburg. Das führte zu einer Begegnung (und Sendung) mit der Hamburger Rundfunk-Spielschar unter Heinrich Schumann. […] Schließlich will ich nicht vergessen, dass ich während des Krieges Begegnungen mit Wolfgang Stumme und Hans Baumann hatte – späte, sehr eindrucksvolle Begegnungen, die zu bleibenden menschlichen Bindungen geführt haben." (Hildegard Krützfeldt-Junker, 1987, S. 38 [N 168 Nr. 82])
Nach dem Krieg kehrte er 1945 aus englischer Gefangenschaft zurück und begann bereits 1946 seine Lektoratstätigkeit für den Möseler-Verlag, die er über mehrere Jahrzehnte freiberuflich fortgesetzt hat. Als Lektor führte die intensive Zusammenarbeit mit den Komponisten zu einigen persönlichen Verbindungen, z.B. mit Felicitas Kukuck [N 168 Nr. 103] und Hans Baumann [N 168 Nr. 99 und 100]. Aus der erneuten Zusammenarbeit mit Fritz Jöde resultierte 1947 die gemeinsame Neugründung der Musikantengilde in Hamburg. Durch seine Initiativen hatte Wolters Anteil an ihrer Umstrukturierung, die sich in Namensänderungen niederschlug, über Arbeitskreis Junge Musik zu Arbeitskreis Musik in der Jugend. Wolters war einige Jahre im Beirat des Bundesvorstandes, und 1952-59 einer von drei Vorsitzenden sowie 1964-70 alleiniger Bundesvorsitzender des Arbeitskreises.
Ende der 1940er Jahre begann Wolters wieder mit Lehrgängen und Singwochenenden, aus denen sich ein fester Kreis von Sängerinnen und Sängern entwickelte, der schließlich 1950 zum "Norddeutschen Singkreis" benannt wurde. Wolters verlieh diesem Chor einen ganz unverkennbaren Charakter und arbeitete mit Enthusiasmus an seinem hohen Niveau. In ihrem Nachruf auf Wolters hebt Lore Auerbach hervor: "Gottfried Wolters Norddeutscher Singkreis erfüllte jahrelang eine Leitbildfunktion für das Chorsingen in Literatur und Stil. Die heutigen Spitzenchöre der Deutschen Laienmusik sind alle direkt oder indirekt davon geprägt" (Auerbach, 1989 [N 168 Nr. 109]). Eine Intensivierung der Chorarbeit war auch deshalb möglich geworden, da Wolters 1950 an die Hamburger Musikhochschule berufen worden war und seinen Lebensmittelpunkt an die Elbe verlagerte (allerdings endete seine Tätigkeit dort schon 1952 nach einer Auseinandersetzung mit dem Hochschuldirektor Philip Jarnach). Bei der Singarbeit hatte Wolters zwar das Vorbild Jödes vor Augen: "Jöde, das war der Mann, der viele (möglichst alle?) Menschen zur Musik führen wollte – über das Singen! Das bewunderte ich – denn etwas Ähnliches wollte ich […] auch, freilich nicht so sehr in aller Breite und mehr auf der Suche nach handwerklich fundierter Leistung", aber distanzierte sich gleichermaßen von ihm durch seinen eigenen Weg zu mehr Professionalität: "Wieviel Sorge bereitete ihm [Jöde] mein Abtreiben ins fast 'Professionelle' – aber ich wollte aus dem üblichen Dilettantismus des Laienmusizierens heraus, wo er mich vielleicht ins 'Elitäre' abschwimmen sah" (in: Krützfeldt-Junker, s.o., S. 36-37). Wolters muss eine große Begabung in der Chorleitung, ein besonderes Gespür für sängerische Feinheiten und jeweils ganz persönliche Stärken der Einzelnen gehabt haben, wie aus zahlreichen Erinnerungen hervorgeht.
Mit seinem Repertoire setzte der "Norddeutsche Singkreis" neue Akzente, denn in der Programmgestaltung lagen die Schwerpunkte sowohl auf alter Musik, u.a. von Monteverdi, Schütz, Josquin, Palestrina, Buxtehude u.a., als auch auf zeitgenössischen, der Jugendmusikbewegung nahe stehenden Komponistinnen und Komponisten wie z.B. Felicitas Kukuck, Günter Bialas, Heinz Lau, Ernst Pepping oder Jens Rohwer, teilweise in Verbindung mit Uraufführungen. Vor allem standen immer wieder Werke von Hugo Distler im Zentrum (s.o.). Zu besonderen Höhepunkten zählen sicherlich eine Aufführung von Carl Orffs "Catulli Carmina" vor dem Komponisten selbst sowie ein Privatkonzert für Paul Hindemith, beides im Jahr 1954.
Schon vor der Namensgebung nahm der Chor Konzerte für den Rundfunk auf, später wurden Aufnahmen und Sendungen für den Rundfunk ein fester Bestandteil der Chorarbeit. Unter anderem nahm Wolters die 1927 von Jöde begonnene Tradition der Rundfunksingstunden auf. Zu den wichtigsten Sendungen zählt sicherlich die Sendereihe "Das Singende Jahr", die vor allem in den Jahren 1951 bis 1954 vom NWDR ausgestrahlt wurde. Die Sendungen waren mit Offenen Singen verknüpft, in denen Wolters mit seiner persönlichen Ausstrahlung und enthusiastischen musikalischen Arbeit regelmäßig eine Vielzahl von Sängerinnen und Sängern begeistern konnte. Parallel gab Wolters im Möseler-Verlag die gleichnamige Liedblattreihe heraus, die sich großer Beliebtheit erfreute (erwähnt werden 30.000 Abonnenten), so erinnert sich auch Lore Auerbach: "Die Liedblattreihe 'Das Singende Jahr' stellte neues Liedgut und Lieder aus dem europäischen Erbe zur Verfügung. Nur wer diese Zeit miterlebt hat, kann ermessen, wie begierig wir damals auf die neuen Quartalsfolgen warteten!" (Auerbach, s.o.)
Ausgehend von seiner Arbeit in Offenen Singen, in denen Wolters nicht nur auf Volkslieder beschränkt blieb, sondern auch an differenziertere Chormusik heranführen konnte (mit Bachschen Passionen zum Mitsingen für alle begründete er eine neue Art des musikalischen Erlebens), erweiterte er nach 1960 seine Tätigkeit auf eine internationale Ebene. Durch eine enge Freundschaft mit César Geoffray bekam er Kontakt zur französischen Chorszene und war mehrfach bei Veranstaltungen der Chorbewegung "A Coeur Joie" zu Gast. Wolters engagierte sich für die Organisation internationaler Chorfeste und gehörte zu den Initiatoren der Europäischen Föderation Junger Chöre. Im Jahr 1961 fand das Chorfest "Europa Cantat" zum ersten Mal in Passau statt; die Einbindung von Offenen Singen in das Gesamtprogramm geht auf Wolters zurück, der diese Großveranstaltungen für hunderte Singbegeisterte aus ganz Europa über Jahre hinweg durch seinen eigenen Charakter prägte. Marcel Corneloup, Chorleiter und Mitgestalter der französischen Chorbewegung, betont den europäischen Geist dieser internationalen Begegnungen: "Wir haben deutlich das Gefühl, daß sich während einer solchen Stunde ein europäisches Bewußtsein gebildet hat. […] Mit Gottfried Wolters haben wir gelernt, daß unser Europa sich so schaffen läßt: niemals Leichtfertigkeit, weder im Repertoire noch in der Ausführung. Alles soll uns dahin bringen, das Höchste zu erlangen" (Corneloup, 1989, Übersetzung Wiltrud Kipping [N 168, Nr. 109]).
1968 gab Wolters die Leitung des Norddeutschen Singkreises auf und wandte sich vermehrt Lehrgängen zu. Zu einer jährlich wiederkehrenden Institution wurden die Chor- und Instrumentalwochen in Hinterschmiding. Außerdem war er auch zunehmend mit Lehrgängen im Ausland aktiv, u.a. in Frankreich, Belgien, den Niederlande, Dänemark, Norwegen und Österreich.
Als Herausgeber war Wolters bis an sein Lebensende tätig. Einige seiner Veröffentlichungen, wie die schon erwähnte Liedblattreihe "Das Singende Jahr", standen in direktem Zusammenhang mit seiner eigenen Chortätigkeit. Dazu gehörten neben der Ausgabe von Monteverdis "Marienvesper" auch Ausgaben mit Werken von Bach, Gabrieli, Brahms, Lasso, Carissimi, Schütz u.a. Am "Chorbuch Romantik" arbeitete er in seinen letzten Lebensjahren, es erschien posthum 1990. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Herausgebertätigkeit waren Lieder- und Chorbücher für die Schule. Insbesondere die 1962 bis 1971 erschienene fünfbändige Reihe "ars musica", die Volkslieder sowie weltliche und geistliche Chorsätze umfasst, erfuhr große Verbreitung. Zu den Inhalten eines seiner Liederbücher gab es allerdings einen kritischen Disput: Das von Wolters (mit Renate Krokisius) 1963 hrsg. Liederbuch für die Mittel- und Oberstufe "Singende Schule, Bd. II" wurde in ersten Gutachten stark kritisiert, u.a. wurde der Vorwurf einer Einbeziehung von Liedguts der HJ gemacht [zur Kritik von Helmut Segler und Lars Ulrich Abraham siehe N 168 Nr. 80-81].
Eine wesentliche Errungenschaft von Gottfried Wolters war es, das Laienmusizieren auf ein höheres Niveau zu bringen. Insbesondere seine Tätigkeit als Chor- und Singwochenleiter war einflussreich für nachfolgende Generationen, da aus seinem Chor, seinen zahlreichen Lehrgängen und Chorwochen viele Musikpädagogen, Chorleiter und Musiker hervorgegangen sind, die seine Ideen und musikalischen Vorstellungen weitergetragen haben. Ebenso prägend war seine länderübergreifende Tätigkeit, die den Gedanken einer europäischen Gemeinschaft schon früh auf der Ebene der Musik auf den Weg brachte, gleichzeitig auch Aufführungsformen wie das Offene Singen in andere Länder trug und dort neue Ausprägungen hervorbrachte.
(Amrei Flechsig)
Bestandsgeschichte
Bestandsgeschichte
Zugang 44/2010.
Der Bestand zu Gottfried Wolters wurde von seinem Sohn Jochem nach dem Tod seines Vaters aufgebaut. Über Kontaktaufnahmen und Aufrufe an ehemalige Freunde, Mitarbeiter und Bekannte seines Vaters trug er Dokumente, Korrespondenzen, Materialsammlungen und Tondokumente zusammen, die er sortiert und gemeinsam mit Korrespondenzen und Materialsammlungen zu Veröffentlichungen und Projekten aus dem Besitz von Gottfried Wolters selbst zu einer Dokumentation des Lebens und Wirkens seines Vaters zusammengestellt hat.
Der Bestand zu Gottfried Wolters wurde von seinem Sohn Jochem nach dem Tod seines Vaters aufgebaut. Über Kontaktaufnahmen und Aufrufe an ehemalige Freunde, Mitarbeiter und Bekannte seines Vaters trug er Dokumente, Korrespondenzen, Materialsammlungen und Tondokumente zusammen, die er sortiert und gemeinsam mit Korrespondenzen und Materialsammlungen zu Veröffentlichungen und Projekten aus dem Besitz von Gottfried Wolters selbst zu einer Dokumentation des Lebens und Wirkens seines Vaters zusammengestellt hat.
Geschichte des Bestandsbildners
Geschichte des Bestandsbildners
* 8.4.1910 in Emmerich (Niederrhein), + 25.6.1989 in Emmerich (Niederrhein); Komponist, Dozent u. Chorleiter (Jugendmusik)
- 1928 Abitur am Staatlichen Humanistischen Gymnasium Emmerich (Jungenschule)
- 1928-1933 Studium Musikwissenschaft u. Germanistik an der Universität Köln u. an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin
- 1935-1941 freier Mitarbeiter des Verlags P. J. Tonger in Köln
- 1941-1945 Leitung Singeleiterschule der Kriegsmarine
- 1945-1989 Lektor (freier Mitarbeiter) des Karl Heinrich Möseler Verlags, Wolfenbüttel
- 1946-1985 Leiter von Lehrgängen und Singwochen
- 1947 Neugründung Musikantengilde, gemeinsam mit Fritz Jöde, umbenannt in Arbeitskreis Musik in der Jugend; Wolters zeitweise im Vorstand und 1964-1970 Vorsitzender
- 1949-1967 Leiter des Norddeutschen Singkreises
- 1950-1952 Dozent an der Musikhochschule Hamburg
- 1960 Gründung Europäische Föderation Junger Chöre
- 1960-1979 Europa Cantat
- 1928 Abitur am Staatlichen Humanistischen Gymnasium Emmerich (Jungenschule)
- 1928-1933 Studium Musikwissenschaft u. Germanistik an der Universität Köln u. an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin
- 1935-1941 freier Mitarbeiter des Verlags P. J. Tonger in Köln
- 1941-1945 Leitung Singeleiterschule der Kriegsmarine
- 1945-1989 Lektor (freier Mitarbeiter) des Karl Heinrich Möseler Verlags, Wolfenbüttel
- 1946-1985 Leiter von Lehrgängen und Singwochen
- 1947 Neugründung Musikantengilde, gemeinsam mit Fritz Jöde, umbenannt in Arbeitskreis Musik in der Jugend; Wolters zeitweise im Vorstand und 1964-1970 Vorsitzender
- 1949-1967 Leiter des Norddeutschen Singkreises
- 1950-1952 Dozent an der Musikhochschule Hamburg
- 1960 Gründung Europäische Föderation Junger Chöre
- 1960-1979 Europa Cantat
Literatur
Literatur
Gottfried Wolters – Freundesgabe zu seinem vollendeten siebzigsten Lebensjahr, hrsg. vom Arbeitskreis für Musik in der Jugend und dem Karl Heinrich Möseler Verlag, Wolfenbüttel 1980
Hildegard Krützfeldt-Junker: Gottfried Wolters im Gespräch in: Fritz Jöde zum hundertsten Geburtstag (1887-1987), eine Dokumentation, Teil 2, in: ZfMP 40/1987
Lore Auerbach, Nachruf, in: intervalle 1/1989
Marcel Corneloup, Avec Gottfried Wolters l’Europe chorale par la chant commun, in: Chant choral magazine, Nr. 21, Aug.-Okt. 1989
Intervalle (Arbeitskreis für Musik in der Jugend), Ausgabe 1/1990: Gottfried Wolters 1910-1980, zum 80. Geburtstag
Jochem Wolters, Gottfried Wolters (1910-1989): Eine Dokumentation, Unterreichenbach 1996
Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, CD-Rom-Lexikon, Kiel 2004, S. 7913ff.
Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 675
Albrecht Dümling, Der Sing-Anstifter: Gottfried Wolters zum 100. Geburtstag, in: neue musikzeitung, 4/2010
Jochem Wolters, Gottfried Wolters, 2010, online: https://www.musicanet.org/bio/Gottfried_Wolters.pdf
Intervalle (Arbeitskreis für Musik in der Jugend), Ausgabe 2010: Gottfried Wolters zum 100. Geburtstag
Matthias Pasdzierny, Wiederaufnahme? Rückkehr aus dem Exil und das westdeutsche Musikleben nach 1945, München: edition text & kritik, 2014
Hildegard Krützfeldt-Junker: Gottfried Wolters im Gespräch in: Fritz Jöde zum hundertsten Geburtstag (1887-1987), eine Dokumentation, Teil 2, in: ZfMP 40/1987
Lore Auerbach, Nachruf, in: intervalle 1/1989
Marcel Corneloup, Avec Gottfried Wolters l’Europe chorale par la chant commun, in: Chant choral magazine, Nr. 21, Aug.-Okt. 1989
Intervalle (Arbeitskreis für Musik in der Jugend), Ausgabe 1/1990: Gottfried Wolters 1910-1980, zum 80. Geburtstag
Jochem Wolters, Gottfried Wolters (1910-1989): Eine Dokumentation, Unterreichenbach 1996
Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, CD-Rom-Lexikon, Kiel 2004, S. 7913ff.
Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 675
Albrecht Dümling, Der Sing-Anstifter: Gottfried Wolters zum 100. Geburtstag, in: neue musikzeitung, 4/2010
Jochem Wolters, Gottfried Wolters, 2010, online: https://www.musicanet.org/bio/Gottfried_Wolters.pdf
Intervalle (Arbeitskreis für Musik in der Jugend), Ausgabe 2010: Gottfried Wolters zum 100. Geburtstag
Matthias Pasdzierny, Wiederaufnahme? Rückkehr aus dem Exil und das westdeutsche Musikleben nach 1945, München: edition text & kritik, 2014
Findmittel
Findmittel
Online-Datenbank ArcInSys
Dokumentation von Jochem Wolters, 1996
Dokumentation von Jochem Wolters, 1996
Weitere Angaben (Bestand)
Umfang
Umfang
44 Archivkartons, 337 Verzeichnungseinheiten
Bearbeiter
Bearbeiter
Amrei Flechsig
Informationen / Notizen
Zusatzinformationen
Zusatzinformationen
Siehe auch Materialbestand zu Gottfried Wolters in A 228.