N 165
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AdJb, N 165
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Drischner, Max (1891-1971)
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Essay
Essay
Der Organist und Komponist Max Drischner war in den 1920er und 1930er Jahren als Kantor der Nikolaikirche in Brieg im Geist der Jugendmusikbewegung aktiv. Die Vertreibung aus Schlesien 1946 bedeutete einen gravierenden biografischen Einschnitt; in Vorworten, Briefen und Rundschreiben nimmt daher das Thema der schlesischen Vergangenheit bis an Drischners Lebensende immer wieder breiten Raum ein. In Drischners Biografie spielten außerdem einzelne Persönlichkeiten eine wichtige Rolle: Wanda Landowska, seine Cembalo-Lehrerin, sowie Albert Schweitzer, mit dem er freundschaftlich verbunden war. Zu beiden finden sich in seinem Nachlass Dokumente und Erinnerungsstücke.
Aufgewachsen in einer schlesischen Kaufmannsfamilie in Prieborn, begann Max Drischner zunächst ein Studium der Theologie in Leipzig und Breslau, gab es dann aber für sein eigentliches Interesse auf - ein Musikstudium in Berlin. Wanda Landowska, die er bereits voller Begeisterung beim Bachfest in Breslau 1912 gehört hatte, nahm ihn 1914 in ihre Cembaloklasse auf. Dieser Unterricht wurde zu seiner prägendsten musikalischen Erfahrung. 1916 kam allerdings sein Studium zum Erliegen, da er zum Krieg eingezogen wurde. Infolge einer Erkrankung verlor er ein Fingerglied, doch dank einer von Landowska erlernter guten Technik hinderte ihn dies nicht an der weiteren Musikausübung. Nach dem Krieg war Wanda Landowska bereits in Paris. Kontakt bekam Drischner erst wieder zu ihr, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Lakeville eine neue Heimat gefunden hatte und ein in den USA lebender Jugendfreund Drischners in seinem Namen den Austausch mit ihr aufnahm (siehe Briefwechsel mit Dieter Scholz [N 165 Nr. 136-146]).
In der Nachkriegszeit gab es für Max Drischner nur wenige Möglichkeiten für Konzertauftritte als Cembalist. Paul Hielscher, Musikdirektor, Kantor und Organist an der Brieger Nikolaikirche, wurde sein Lehrer und unterrichtete ihn in Kirchenmusik und Orgelspiel. Als Nachfolger Hielschers trat Drischner 1924 schließlich sein Amt als neuer Kantor in Brieg an.
Mit seinem anderen "geistigen Mentor", Albert Schweitzer, begann der Kontakt bereits in seiner Jugend. Schon früh war Drischner von der Bach-Monografie Schweitzers beeindruckt, weshalb er dem berühmten Theologen, Musikwissenschaftler, Organisten und "Urwaldarzt" 1910 einen Brief schrieb. Im Rückblick resümiert er: "Durch dieses Buch erwachte ich zum Leben." (Nachwort zu Notenausgabe: Max Drischner: Choralvorspiele für Dorforganisten, Tübingen: Schultheiss Musikverlag, 1954 [N 165 Nr. 52]). Daraus entstand ein freundschaftlicher Briefwechsel, in Verbindung mit mehreren gegenseitigen Besuchen. Schweitzer übernahm die Rolle eines väterlichen Fürsprechers und ermunterte ihn auf seinem eigenen musikalischen Weg. So war er es laut Drischner, der ihn überhaupt erst dazu gebracht hat, seine Noten veröffentlichen zu lassen. In Briefen und Publikationen berichtete Drischner mehrfach über seinen Austausch mit Schweitzer und betonte, welche Bedeutung er für ihn hat. "Diese Freundschaft wog manches Unheil in meinem Leben auf und ließ mich auch negative Kritik gelassen hinnehmen." (ebd.) Ein wichtiges Zeugnis dieser Freundschaft ist das Klavichord [N 165 Nr. 1], das Albert Schweitzer seinem Freund 1949 schenkte, nachdem Drischner durch die Vertreibung aus Schlesien mit seinem gesamten Besitz auch sein wertvolles Steingraeber-Cembalo, eine Nachbildung eines Bachschen Instrumentes, verloren hatte.
Nach seinem Amtsantritt in Brieg setzte sich Max Drischner dafür ein, dass die Engler-Orgel der Nikolaikirche nicht modernisiert, sondern im ursprünglichen Sinne restauriert wurde. Damit entsprach er den Vorstellungen der von Wilibald Gurlitt, Christian Mahrenholz u.a. angestoßenen Orgelbewegung, die sich teilweise auch auf Vorstellungen von Albert Schweitzer berief. In den Jahren 1926 bis 1928 nahmen Hans Henny Jahn und die Firma Kemper die aufwändige Restaurierung vor. Der Klang dieser Orgel wurde für Max Drischner zur zentralen Inspirationsquelle für seine Kompositionen, alle Orgelwerke aus jener Zeit hat er speziell für dieses Instrument geschrieben. Er etablierte außerdem regelmäßige Orgelfeierstunden und geistliche Abendmusiken. Erwähnt wird u.a. auch eine Bearbeitung der Kunst der Fuge zu vier Händen, die er mit seiner Orgelpartnerin Katharina Hartmann (und Klavierlehrerin des jungen Kurt Masur) mehrfach zur Aufführung brachte (einen Eindruck liefert: Robert Hahn: Brieger Musica sacra - Ein Besuch bei Kantor Drischner, Schlesische Zeitung, 24.10.1943 [N 165 Nr. 162].
Eine weitere wichtige Neuerung nach seinem Amtsantritt in Brieg war die Gründung eines Jugendchors: Den bisherigen (bezahlten) Kirchenchor tauschte Drischner allmählich gegen ein neues Ensemble mit singfreudigen jungen Leuten aus. Er beschreibt den Chor selbst: "Dieser Jugendchor setzt sich zusammen aus Leuten aller Stände […]. Das Zusammenwirken dieser verschiedenen Menschen ist einzig dadurch bedingt, daß sie ihr Singen als Gottesdienst und als Dienst an der Gemeinde betrachten. Dadurch ist zugleich die Richtung für die Art der Musik gegeben: echte Kirchenmusik, aus innerer Notwendigkeit heraus geschaffen, nach der wir in der Neuzeit vergeblich suchen." (Max Drischner, Der Brieger Jugendchor, in: Werkschriften der Musikantengilde, Bd. 3, 1927 [N 165 Nr. 161]) Hier klingt schon an, dass sich auch das musikalische Repertoire gewandelt hatte: Besonders am Herzen lagen Drischner die "alten Meister" (Bach, Schütz, Sweelinck u. a.) bis hin zur Gregorianik sowie die Einbindung des Gesangs in den liturgischen Gottesdienst. Damit setzte er neue Akzente in der evangelischen Kirchenmusik, die sich durch den Erfolg seines Chores schnell verbreiteten. So hatte der Chor größere Auftritte, als 1925 in Brieg die erste Schlesische Jugendmusikwoche stattfand, 1927 nahm er an der Dritten Tagung für deutsche Orgelkunst in Freiberg/Sachsen teil, und die Reputation Drischners trug dazu bei, dass 1929 die 31. Jahrestagung des Evangelischen Kirchengesangvereins für Deutschland nach Brieg verlegt wurde. Die Arbeit mit seinem Chor verdeutlicht, dass sich Drischner mit den Vorstellungen der Jugendmusikbewegung auseinandergesetzt hat und sie in die Kirchenmusik übertragen wollte. Dazu gehörte auch das gesellige Beisammensein, das er mit dem Chor pflegte - Ausflüge, Spiele bis hin zur Einrichtung eines Chorheims im elterlichen Garten.
1942 wurde Max Drischner zum Kirchenmusikdirektor ernannt. In der Begründung seiner Ernennung fanden erneut sein Engagement für die Neuausrichtung der Kirchenmusik sowie für die Restaurierung der Engler-Orgel Erwähnung (siehe Korrespondenz zur Ernennung des Kantors und Organisten Max Drischner an der Haupt- und Pfarrkirche zu St. Nicolaus in Brieg/Schlesien zum Kirchenmusikdirektor 1942 [N 165 Nr. 162]).
Neben der Liebe zur alten deutschen Musik hatte Max Drischner eine besondere Vorliebe für das Nordisch-Volkstümliche und die Musik Norwegens. Dies stand in direktem Bezug zu seiner Faszination für die norwegische Landschaft und Natur. Mehrmals unternahm er Reisen nach Norwegen, u.a. gemeinsam mit seinen Schwestern. Er knüpft dort neue Kontakte, wie beispielsweise mit Bischof Eivind Berggrav, einer führenden Persönlichkeit im norwegischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer, sowie mit den Organisten und Komponisten Ludvig Nielsen und Arild Sandvold. Seine Reiseeindrücke inspirierten Drischner zu mehreren Kompositionen, denen teilweise nordische Volkslieder zugrunde liegen. Ausführlich beschreibt Drischner den Entstehungshintergrund oder auch seine Landschaftseindrücke in den Vorworten der Druckausgaben [N 165 u.a. Nr. 51, 54, 55]. Die ausgeprägte Wendung zu einem "nordischen Ton" in den 1930er Jahren ließe sich auch als Zugeständnis an den Nationalsozialismus deuten, allerdings ist, abgesehen von seinem Parteieintritt 1937 (siehe Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945, 2004, S. 1251-1252), eine aktive Betätigung Drischners konkret nationalsozialistischer Ausrichtung nicht bekannt. Zwar verfasste er auch Kompositionen wie die Orgelhymnen "Heilig Vaterland" und "Deutschland, heiliges Wort" (siehe Rückseite der Ausgabe von Nordische Kanzonen, Littmann-Verlag 1940 [N 165 Nr. 164], im Vorwort zu dieser Ausgabe erwähnt Drischner selbst auch positiv, dass mit den dazugehörigen Liedern "in den Kreisen der Hitler-Jugend" "der Anschluß an das alte deutsche Volkslied über Jahrhunderte der Dürre hinweg wieder erreicht wurde" [ebd.]), doch Aufführungen seiner Werke fanden nur im kirchlichen Kontext, v.a. im Rahmen von Orgelfeierstunden statt.
Mit der Vertreibung seiner Familie aus der schlesischen Heimat 1946 nach schweren Monaten in Prieborn nahm sein Leben eine tragische Wendung; dieser Einschnitt und der Verlust der Heimat belasteten ihn bis an sein Lebensende. Gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester Margarethe (Grete) gelangte er zunächst in ein Umsiedelungslager in Magdeburg, wobei sie nur die nötigsten Habseligkeiten (darunter auch seine versteckten Noten) retten konnten. 1947 ergab sich eine erste neue Chance für Drischner als Kantor an der Augustinerkirche in Erfurt, schon bald wechselte er weiter nach Herrenberg bei Stuttgart, immer begleitet von seiner Mutter und seiner Schwester. Allerdings musste er aufgrund eines schweren Nervenleidens fünf Monate in der Tübinger Universitätsklinik behandelt werden. Ein Trost war ihm weiterhin die Freundschaft zu Albert Schweitzer, der ihm 1949 das erwähnte Klavichord schenkte. Doch ein neues Gefühl von Zugehörigkeit und Heimat erlebte Drischner erst wieder 1955, als es ihm möglich wurde, nach Goslar zu ziehen. Da Goslar seit 1950 Pate war für die vertriebenen Brieger und dort alle zwei Jahre Schlesiertreffen stattfanden, fand er hier eine heimatverbundene Umgebung vor. Auch seine Arbeit fand neue Anerkennung: 1956 zeichnete Goslar ihn mit dem Kulturpreis der Stadt aus, sein 70. und sein 80. Geburtstag waren Anlass für zahlreiche Würdigungen.
In der nahen Klosterkirche Grauhof befand sich eine Trautmann-Orgel, die im Klang "seiner" früheren Brieger Orgel sehr ähnlich war. Mit den dort ansässigen Franziskanern knüpfte er Freundschaft, so dass er bis an sein Lebensende an dieser Orgel eine neue Heimstätte für seine Musik fand. Gemeinsam mit seiner Schwester Grete, die in den letzten Jahrzehnten seine Orgelpartnerin war, gestaltete er wieder Orgelfeierstunden, u.a. im Rahmen der Goslarer Schlesiertreffen. An dieser Orgel spielte Drischner auch seine Werke auf Schallplatte ein [siehe N 165 Nr. 185]. Gesundheitlich stark beeinträchtigt, blieb er bis kurz vor seinem Tod noch aktiv als Organist. Max Drischner starb im April 1971, seine Schwester Grete folgte ihm nur wenige Monate später nach.
Von seinen Kompositionen fanden besonders die Weihnachtsgeschichte (Brieger Christnacht 1944) und der Sonnenhymnus für Orgel weite Verbreitung. Veröffentlicht wurden Drischners Werke zunächst im Breslauer Verlag Konrad Littmann, nach 1946 im Musikverlag Schultheiß in Tübingen, der 1995 vom Verlag Thomi-Berg übernommen wurde. Eine Eigenheit der Publikationen sind die ausführlichen Vor- oder Nachworte, in denen Max Drischner sehr detailliert und persönlich das Entstehungsumfeld beschreibt (z.B. die Norwegenreisen oder das heimatliche Prieborn) oder Erinnerungen an die Widmungsträger festhält (z.B. an Wanda Landowska oder Albert Schweitzer). Stilistisch ist seine Musik einfach, schlicht und auf Spielbarkeit angelegt; Drischner betonte selbst, dass es Gebrauchsmusik sei – darin spiegelt sich ebenfalls der Bezug zur Jugendmusikbewegung wider. Auch dieTatsache, dass in den Notenausgaben diverse Besetzungsvorschläge gemacht werden und die Stücke nicht auf ein Instrument festgelegt werden, charakterisiert die Werke als Gebrauchsmusik.
(Amrei Flechsig)
Aufgewachsen in einer schlesischen Kaufmannsfamilie in Prieborn, begann Max Drischner zunächst ein Studium der Theologie in Leipzig und Breslau, gab es dann aber für sein eigentliches Interesse auf - ein Musikstudium in Berlin. Wanda Landowska, die er bereits voller Begeisterung beim Bachfest in Breslau 1912 gehört hatte, nahm ihn 1914 in ihre Cembaloklasse auf. Dieser Unterricht wurde zu seiner prägendsten musikalischen Erfahrung. 1916 kam allerdings sein Studium zum Erliegen, da er zum Krieg eingezogen wurde. Infolge einer Erkrankung verlor er ein Fingerglied, doch dank einer von Landowska erlernter guten Technik hinderte ihn dies nicht an der weiteren Musikausübung. Nach dem Krieg war Wanda Landowska bereits in Paris. Kontakt bekam Drischner erst wieder zu ihr, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Lakeville eine neue Heimat gefunden hatte und ein in den USA lebender Jugendfreund Drischners in seinem Namen den Austausch mit ihr aufnahm (siehe Briefwechsel mit Dieter Scholz [N 165 Nr. 136-146]).
In der Nachkriegszeit gab es für Max Drischner nur wenige Möglichkeiten für Konzertauftritte als Cembalist. Paul Hielscher, Musikdirektor, Kantor und Organist an der Brieger Nikolaikirche, wurde sein Lehrer und unterrichtete ihn in Kirchenmusik und Orgelspiel. Als Nachfolger Hielschers trat Drischner 1924 schließlich sein Amt als neuer Kantor in Brieg an.
Mit seinem anderen "geistigen Mentor", Albert Schweitzer, begann der Kontakt bereits in seiner Jugend. Schon früh war Drischner von der Bach-Monografie Schweitzers beeindruckt, weshalb er dem berühmten Theologen, Musikwissenschaftler, Organisten und "Urwaldarzt" 1910 einen Brief schrieb. Im Rückblick resümiert er: "Durch dieses Buch erwachte ich zum Leben." (Nachwort zu Notenausgabe: Max Drischner: Choralvorspiele für Dorforganisten, Tübingen: Schultheiss Musikverlag, 1954 [N 165 Nr. 52]). Daraus entstand ein freundschaftlicher Briefwechsel, in Verbindung mit mehreren gegenseitigen Besuchen. Schweitzer übernahm die Rolle eines väterlichen Fürsprechers und ermunterte ihn auf seinem eigenen musikalischen Weg. So war er es laut Drischner, der ihn überhaupt erst dazu gebracht hat, seine Noten veröffentlichen zu lassen. In Briefen und Publikationen berichtete Drischner mehrfach über seinen Austausch mit Schweitzer und betonte, welche Bedeutung er für ihn hat. "Diese Freundschaft wog manches Unheil in meinem Leben auf und ließ mich auch negative Kritik gelassen hinnehmen." (ebd.) Ein wichtiges Zeugnis dieser Freundschaft ist das Klavichord [N 165 Nr. 1], das Albert Schweitzer seinem Freund 1949 schenkte, nachdem Drischner durch die Vertreibung aus Schlesien mit seinem gesamten Besitz auch sein wertvolles Steingraeber-Cembalo, eine Nachbildung eines Bachschen Instrumentes, verloren hatte.
Nach seinem Amtsantritt in Brieg setzte sich Max Drischner dafür ein, dass die Engler-Orgel der Nikolaikirche nicht modernisiert, sondern im ursprünglichen Sinne restauriert wurde. Damit entsprach er den Vorstellungen der von Wilibald Gurlitt, Christian Mahrenholz u.a. angestoßenen Orgelbewegung, die sich teilweise auch auf Vorstellungen von Albert Schweitzer berief. In den Jahren 1926 bis 1928 nahmen Hans Henny Jahn und die Firma Kemper die aufwändige Restaurierung vor. Der Klang dieser Orgel wurde für Max Drischner zur zentralen Inspirationsquelle für seine Kompositionen, alle Orgelwerke aus jener Zeit hat er speziell für dieses Instrument geschrieben. Er etablierte außerdem regelmäßige Orgelfeierstunden und geistliche Abendmusiken. Erwähnt wird u.a. auch eine Bearbeitung der Kunst der Fuge zu vier Händen, die er mit seiner Orgelpartnerin Katharina Hartmann (und Klavierlehrerin des jungen Kurt Masur) mehrfach zur Aufführung brachte (einen Eindruck liefert: Robert Hahn: Brieger Musica sacra - Ein Besuch bei Kantor Drischner, Schlesische Zeitung, 24.10.1943 [N 165 Nr. 162].
Eine weitere wichtige Neuerung nach seinem Amtsantritt in Brieg war die Gründung eines Jugendchors: Den bisherigen (bezahlten) Kirchenchor tauschte Drischner allmählich gegen ein neues Ensemble mit singfreudigen jungen Leuten aus. Er beschreibt den Chor selbst: "Dieser Jugendchor setzt sich zusammen aus Leuten aller Stände […]. Das Zusammenwirken dieser verschiedenen Menschen ist einzig dadurch bedingt, daß sie ihr Singen als Gottesdienst und als Dienst an der Gemeinde betrachten. Dadurch ist zugleich die Richtung für die Art der Musik gegeben: echte Kirchenmusik, aus innerer Notwendigkeit heraus geschaffen, nach der wir in der Neuzeit vergeblich suchen." (Max Drischner, Der Brieger Jugendchor, in: Werkschriften der Musikantengilde, Bd. 3, 1927 [N 165 Nr. 161]) Hier klingt schon an, dass sich auch das musikalische Repertoire gewandelt hatte: Besonders am Herzen lagen Drischner die "alten Meister" (Bach, Schütz, Sweelinck u. a.) bis hin zur Gregorianik sowie die Einbindung des Gesangs in den liturgischen Gottesdienst. Damit setzte er neue Akzente in der evangelischen Kirchenmusik, die sich durch den Erfolg seines Chores schnell verbreiteten. So hatte der Chor größere Auftritte, als 1925 in Brieg die erste Schlesische Jugendmusikwoche stattfand, 1927 nahm er an der Dritten Tagung für deutsche Orgelkunst in Freiberg/Sachsen teil, und die Reputation Drischners trug dazu bei, dass 1929 die 31. Jahrestagung des Evangelischen Kirchengesangvereins für Deutschland nach Brieg verlegt wurde. Die Arbeit mit seinem Chor verdeutlicht, dass sich Drischner mit den Vorstellungen der Jugendmusikbewegung auseinandergesetzt hat und sie in die Kirchenmusik übertragen wollte. Dazu gehörte auch das gesellige Beisammensein, das er mit dem Chor pflegte - Ausflüge, Spiele bis hin zur Einrichtung eines Chorheims im elterlichen Garten.
1942 wurde Max Drischner zum Kirchenmusikdirektor ernannt. In der Begründung seiner Ernennung fanden erneut sein Engagement für die Neuausrichtung der Kirchenmusik sowie für die Restaurierung der Engler-Orgel Erwähnung (siehe Korrespondenz zur Ernennung des Kantors und Organisten Max Drischner an der Haupt- und Pfarrkirche zu St. Nicolaus in Brieg/Schlesien zum Kirchenmusikdirektor 1942 [N 165 Nr. 162]).
Neben der Liebe zur alten deutschen Musik hatte Max Drischner eine besondere Vorliebe für das Nordisch-Volkstümliche und die Musik Norwegens. Dies stand in direktem Bezug zu seiner Faszination für die norwegische Landschaft und Natur. Mehrmals unternahm er Reisen nach Norwegen, u.a. gemeinsam mit seinen Schwestern. Er knüpft dort neue Kontakte, wie beispielsweise mit Bischof Eivind Berggrav, einer führenden Persönlichkeit im norwegischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer, sowie mit den Organisten und Komponisten Ludvig Nielsen und Arild Sandvold. Seine Reiseeindrücke inspirierten Drischner zu mehreren Kompositionen, denen teilweise nordische Volkslieder zugrunde liegen. Ausführlich beschreibt Drischner den Entstehungshintergrund oder auch seine Landschaftseindrücke in den Vorworten der Druckausgaben [N 165 u.a. Nr. 51, 54, 55]. Die ausgeprägte Wendung zu einem "nordischen Ton" in den 1930er Jahren ließe sich auch als Zugeständnis an den Nationalsozialismus deuten, allerdings ist, abgesehen von seinem Parteieintritt 1937 (siehe Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945, 2004, S. 1251-1252), eine aktive Betätigung Drischners konkret nationalsozialistischer Ausrichtung nicht bekannt. Zwar verfasste er auch Kompositionen wie die Orgelhymnen "Heilig Vaterland" und "Deutschland, heiliges Wort" (siehe Rückseite der Ausgabe von Nordische Kanzonen, Littmann-Verlag 1940 [N 165 Nr. 164], im Vorwort zu dieser Ausgabe erwähnt Drischner selbst auch positiv, dass mit den dazugehörigen Liedern "in den Kreisen der Hitler-Jugend" "der Anschluß an das alte deutsche Volkslied über Jahrhunderte der Dürre hinweg wieder erreicht wurde" [ebd.]), doch Aufführungen seiner Werke fanden nur im kirchlichen Kontext, v.a. im Rahmen von Orgelfeierstunden statt.
Mit der Vertreibung seiner Familie aus der schlesischen Heimat 1946 nach schweren Monaten in Prieborn nahm sein Leben eine tragische Wendung; dieser Einschnitt und der Verlust der Heimat belasteten ihn bis an sein Lebensende. Gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester Margarethe (Grete) gelangte er zunächst in ein Umsiedelungslager in Magdeburg, wobei sie nur die nötigsten Habseligkeiten (darunter auch seine versteckten Noten) retten konnten. 1947 ergab sich eine erste neue Chance für Drischner als Kantor an der Augustinerkirche in Erfurt, schon bald wechselte er weiter nach Herrenberg bei Stuttgart, immer begleitet von seiner Mutter und seiner Schwester. Allerdings musste er aufgrund eines schweren Nervenleidens fünf Monate in der Tübinger Universitätsklinik behandelt werden. Ein Trost war ihm weiterhin die Freundschaft zu Albert Schweitzer, der ihm 1949 das erwähnte Klavichord schenkte. Doch ein neues Gefühl von Zugehörigkeit und Heimat erlebte Drischner erst wieder 1955, als es ihm möglich wurde, nach Goslar zu ziehen. Da Goslar seit 1950 Pate war für die vertriebenen Brieger und dort alle zwei Jahre Schlesiertreffen stattfanden, fand er hier eine heimatverbundene Umgebung vor. Auch seine Arbeit fand neue Anerkennung: 1956 zeichnete Goslar ihn mit dem Kulturpreis der Stadt aus, sein 70. und sein 80. Geburtstag waren Anlass für zahlreiche Würdigungen.
In der nahen Klosterkirche Grauhof befand sich eine Trautmann-Orgel, die im Klang "seiner" früheren Brieger Orgel sehr ähnlich war. Mit den dort ansässigen Franziskanern knüpfte er Freundschaft, so dass er bis an sein Lebensende an dieser Orgel eine neue Heimstätte für seine Musik fand. Gemeinsam mit seiner Schwester Grete, die in den letzten Jahrzehnten seine Orgelpartnerin war, gestaltete er wieder Orgelfeierstunden, u.a. im Rahmen der Goslarer Schlesiertreffen. An dieser Orgel spielte Drischner auch seine Werke auf Schallplatte ein [siehe N 165 Nr. 185]. Gesundheitlich stark beeinträchtigt, blieb er bis kurz vor seinem Tod noch aktiv als Organist. Max Drischner starb im April 1971, seine Schwester Grete folgte ihm nur wenige Monate später nach.
Von seinen Kompositionen fanden besonders die Weihnachtsgeschichte (Brieger Christnacht 1944) und der Sonnenhymnus für Orgel weite Verbreitung. Veröffentlicht wurden Drischners Werke zunächst im Breslauer Verlag Konrad Littmann, nach 1946 im Musikverlag Schultheiß in Tübingen, der 1995 vom Verlag Thomi-Berg übernommen wurde. Eine Eigenheit der Publikationen sind die ausführlichen Vor- oder Nachworte, in denen Max Drischner sehr detailliert und persönlich das Entstehungsumfeld beschreibt (z.B. die Norwegenreisen oder das heimatliche Prieborn) oder Erinnerungen an die Widmungsträger festhält (z.B. an Wanda Landowska oder Albert Schweitzer). Stilistisch ist seine Musik einfach, schlicht und auf Spielbarkeit angelegt; Drischner betonte selbst, dass es Gebrauchsmusik sei – darin spiegelt sich ebenfalls der Bezug zur Jugendmusikbewegung wider. Auch dieTatsache, dass in den Notenausgaben diverse Besetzungsvorschläge gemacht werden und die Stücke nicht auf ein Instrument festgelegt werden, charakterisiert die Werke als Gebrauchsmusik.
(Amrei Flechsig)
Custodial history
Custodial history
Zugänge 16/2013 u. 41/2019.
Den Nachlass von Max Drischner hat seine Nichte Hanne-Lore Reetz sortiert und mit zahlreichen Erläuterungen versehen, bevor sie ihn an das AdJB übergeben hat. Ausgewählte Tondokumente wurden bereits von ihr digitalisiert und auf CD übertragen. Auch einige wichtige Dokumente (Vorworte, Briefe, Rezensionen etc.) liegen teilweise bereits digitalisiert auf einer CD-Rom vor.
Den Nachlass von Max Drischner hat seine Nichte Hanne-Lore Reetz sortiert und mit zahlreichen Erläuterungen versehen, bevor sie ihn an das AdJB übergeben hat. Ausgewählte Tondokumente wurden bereits von ihr digitalisiert und auf CD übertragen. Auch einige wichtige Dokumente (Vorworte, Briefe, Rezensionen etc.) liegen teilweise bereits digitalisiert auf einer CD-Rom vor.
History of creator
History of creator
Max Drischner, deutscher Kantor, Organist, Cembalist und Komponist; * 30.1.1891 in Prieborn, + 25.4.1971 in Goslar. Freund von A. Schweitzer.
1910-1913 Theologiestudium in Leipzig u. Breslau.
1914-1916 Studium an der Hochschule für Musik in Berlin (Hauptfach Cembalo bei Wanda Landowska)
1916-1918 Kriegsdienst, freiwilliger Krankenpfleger in Frankreich
1920-1923 Unterricht in Kirchenmusik und Orgelspiel durch Paul Hielscher, Brieg
1924 Amtsantritt als Kantor u. Organist in Brieg (Kirche St. Nicolai)
1942 Kirchenmusikdirektor
1946 Vertreibung aus Schlesien, Stationen in Magdeburg und Erfurt
1947-1955 Kantor u. Organist in Herrenberg
1955 Übersiedlung nach Goslar
1956 Kulturpreis der Stadt Goslar
1910-1913 Theologiestudium in Leipzig u. Breslau.
1914-1916 Studium an der Hochschule für Musik in Berlin (Hauptfach Cembalo bei Wanda Landowska)
1916-1918 Kriegsdienst, freiwilliger Krankenpfleger in Frankreich
1920-1923 Unterricht in Kirchenmusik und Orgelspiel durch Paul Hielscher, Brieg
1924 Amtsantritt als Kantor u. Organist in Brieg (Kirche St. Nicolai)
1942 Kirchenmusikdirektor
1946 Vertreibung aus Schlesien, Stationen in Magdeburg und Erfurt
1947-1955 Kantor u. Organist in Herrenberg
1955 Übersiedlung nach Goslar
1956 Kulturpreis der Stadt Goslar
Includes u.a.
Includes u.a.
16 CDs mit Tondokumenten M. Drischners 1891-1971
1 Klavichord aus der Werkstatt Merzdorf (1949, Geschenk A. Schweitzers)
14 Briefe A. Schweitzers (Originale)
Bücher von u. über A. Schweitzer
3 Fotografien (Wanda Landowska, Cembalo-Lehrerin M. Drischners sowie Eheleute Schweitzer)
1 Klavichord aus der Werkstatt Merzdorf (1949, Geschenk A. Schweitzers)
14 Briefe A. Schweitzers (Originale)
Bücher von u. über A. Schweitzer
3 Fotografien (Wanda Landowska, Cembalo-Lehrerin M. Drischners sowie Eheleute Schweitzer)
Literature
Literature
Martin Frieß, Musik für die Gemeinde - Zum Gedenken an Max Drischner (1891-1971), in: Württembergische Blätter für Kirchenmusik, Ausgabe 3/1991, Mai/Juni, S. 83-87 [N165 Nr. 282]
Bryan Hesford, The Organ at Grauhof Abbey and Max Drischner, in: Musical Opinion, Nr. 1144, Vol. 96, January 1973, S. 193-197 [N165 Nr. 290]
Bryan Hesford, The Life and Work of Max Drischner, 1974
Matthias Müller, Max Drischner - der "Brieger Kantor" und die Grafschaft Glatz, in: Grofschoaftersch Häämtebärnla 2013, Jahrbuch der Grafschaft Glatz/Schlesien, 65. Jahrgang, S. 48-51 [N165 Nr. 286]
Konrad Nagel, Porträt und Nachruf: Max Drischner - Wegbereiter der Orgelbewegung in Schlesien, in: Instrumentenbau Report 19, Aktuelle Informationen für Musikfreunde und Instrumentenbauer, 11. Jg., Juni 1995, S. 30-31 [N165 Nr. 291]
Paul Steinmüller: Das Cembalo und sein Spieler, in: Westermanns Monatshefte, Heft 826, Juni 1925, S. 356-360 [N165 Nr. 289]
Sabine Traud: Max Drischner - Portrait eines schlesischen Komponisten (deutsch/polnisch), in: Joseph von Eichendorff Konservatorium, Zeszyty edukacji kulturalney/ Hefte für Kultur und Bildung Nr. 34, Opole, Januar-März 2002, S. 90-107 [N165 Nr. 284]
Peter K. Zerbaum: Max Drischner (1891-1971), ... und leis' das Herz der Heimat ruft - Musik, das war sein Leben, und kein Ton war gelogen... , Würdigung im Gedenken des 110. Geburtstags, hrsg. von der Arbeits- und Forschungsgemeinschaft "Brieg - Max Drischner - Schlesien" im Schlesischen Heimat- und Freundeskreis Rosslau e.V., 2000 (mit Werkverzeichnis) [N165 Nr. 287]
Bryan Hesford, The Organ at Grauhof Abbey and Max Drischner, in: Musical Opinion, Nr. 1144, Vol. 96, January 1973, S. 193-197 [N165 Nr. 290]
Bryan Hesford, The Life and Work of Max Drischner, 1974
Matthias Müller, Max Drischner - der "Brieger Kantor" und die Grafschaft Glatz, in: Grofschoaftersch Häämtebärnla 2013, Jahrbuch der Grafschaft Glatz/Schlesien, 65. Jahrgang, S. 48-51 [N165 Nr. 286]
Konrad Nagel, Porträt und Nachruf: Max Drischner - Wegbereiter der Orgelbewegung in Schlesien, in: Instrumentenbau Report 19, Aktuelle Informationen für Musikfreunde und Instrumentenbauer, 11. Jg., Juni 1995, S. 30-31 [N165 Nr. 291]
Paul Steinmüller: Das Cembalo und sein Spieler, in: Westermanns Monatshefte, Heft 826, Juni 1925, S. 356-360 [N165 Nr. 289]
Sabine Traud: Max Drischner - Portrait eines schlesischen Komponisten (deutsch/polnisch), in: Joseph von Eichendorff Konservatorium, Zeszyty edukacji kulturalney/ Hefte für Kultur und Bildung Nr. 34, Opole, Januar-März 2002, S. 90-107 [N165 Nr. 284]
Peter K. Zerbaum: Max Drischner (1891-1971), ... und leis' das Herz der Heimat ruft - Musik, das war sein Leben, und kein Ton war gelogen... , Würdigung im Gedenken des 110. Geburtstags, hrsg. von der Arbeits- und Forschungsgemeinschaft "Brieg - Max Drischner - Schlesien" im Schlesischen Heimat- und Freundeskreis Rosslau e.V., 2000 (mit Werkverzeichnis) [N165 Nr. 287]
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Extent
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35 Archivkartons, 2 Großmappen, 367 Verzeichnungseinheiten
Person in charge
Person in charge
Elke Hack, Amrei Flechsig