AdJb Bestand A 228 > Pfannenstiel, Ekkehart

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Beschreibung: Gliederung (Klassifikation)

Identifikation (Gliederung)

Titel 

Pfannenstiel, Ekkehart

Aufsatz 

Ekkehart Pfannenstiel (geb. 10. 2. 1896 in Berlin, gest. 10. 2. 1986 in Westerstede bei Oldenburg), Musikpädagoge und Komponist

Ekkehart Pfannenstiel wurde am 10. 2. 1896 in Berlin geboren und wuchs dort in einem musikalisch geprägten Elternhaus auf: Der Vater war Musik- und Theaterkritiker, die Mutter Pianistin. Durch zahllose Konzertbesuche und häusliche Darbietungen von eingeladenen Musikern erwarb er schon in Kinder- und Jugendzeiten breit angelegte Musikkenntnisse. Sein Musik- und Musikwissenschaftsstudium an verschiedenen Universitäten und Hochschulen, das im I. Weltkrieg durch eineinhalb Jahre Militärdienst unterbrochen wurde, beendete Ekkehart Pfannenstiel 1922 mit einer Kapellmeisterprüfung am Hochschen Konservatorium in Frankfurt a.M. und einer Staatlichen Musiklehrerprüfung in Berlin. Einer Kapellmeistertätigkeit ging er nur kurz nach. Schon 1922 schlug er den Weg in die musikpädagogische Arbeit ein, als er eine Stelle am Evangelischen Pädagogium in Bad Godesberg antrat. In dieser Zeit heiratete er auch und wurde bald Vater von zwei Kindern.

Pfannenstiel, der nicht auf eine Jugend als Wandervogel zurückblicken konnte, erhielt in den folgenden Jahren entscheidende Impulse durch die Jugendmusikbewegung, er zählte schon früh zum engeren Kreis um Fritz Jöde. Den Auftakt zur Zusammenarbeit gab 1923 Pfannenstiels Analyse eines Liedes von Armin Knab, die im ersten Jahrgang von Jödes Zeitschrift „Die Musikantengilde“ veröffentlicht wurde – Knab selbst war es, der Pfannenstiel an Jöde vermittelt hatte. 1924 nahm Pfannenstiel bereits am ersten Reichstreffen der Musikantengilde auf der Jugendburg Lobeda teil. Hier stellten sich für ihn auch neue berufliche Weichen: Hilmar Höckner schlug ihm vor, als Lehrer an die Deutschen Landerziehungsheime (Hermann-Lietz-Schulen) zu kommen. Pfannenstiel nahm das Angebot an und war von 1925 bis 1927 im Landerziehungsheim Buchenau tätig. Die nächste berufliche Station ergab sich wenig später auf Betreiben Jödes, der Pfannenstiel 1927 nach Berlin holte. Hier arbeitete er als Lehrer und Chorleiter an den Volksmusikschulen (Charlottenburg und Neukölln) und war erstmals als Dozent in der Lehrerfortbildung tätig, insbesondere am Seminar für Volks- und Jugendmusikpflege an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik und an der Diesterweg-Hochschule. Daneben engagierte er sich bei zahlreichen Lehrgängen und Singwochen in ganz Deutschland. Bei Kallmeyer erschien 1929 Pfannenstiels erstes musikpädagogisches Buch, „Die Lehrweise des Musikanten“.

Von 1930 bis 1945 konzentrierte sich Pfannenstiel auf die Lehrerbildung und unterrichtete an den Lehrerakademien in Cottbus, Lauenburg, Frankfurt/O., Saarbrücken und Sonthofen, 1931 wurde er zum Professor ernannt. Parallel erteilte er aber weiterhin regelmäßig Musikunterricht in Schulen und anderen Institutionen. In Sonthofen war Pfannenstiel neben der Dozententätigkeit in der Erzieherakademie auch leitend als Musikerzieher der Adolf-Hitler-Schulen tätig. An Erich Doflein schrieb er am 8. 12. 1970 über die Adolf-Hitler-Schulen: „ich gab dort von 1942-45 Musikunterricht, und es wäre für mich einfach eine Unterschlagung, wenn ich diese Erziehungsstätte, an der meine von der JMB herkommenden Anschauungen und Praktiken zu voller Blüte und Reife gelangten, und zwar ohne jede Behinderung, der historischen Wahrheit wegen nicht unter die Internate rechnen würde, in denen eindeutig auf dem instrumentalpädagogischen Sektor das weiterging und sich entfaltete, was aus der JMB und den vorherigen Schulinternaten kam. Wenn ich vergleiche, was ich 1925-27 am Landerziehungsheim zuwege brachte (ich muss sagen: experimentell und anfängerhaft), und was dann später in meiner Arbeit an den Ad.Hitler-Schulen erwuchs, so war das vom Impuls der Jugendmusikbewegung her gesehen das Verhältnis von Blüte und reifer Frucht. Dass das ausgerechnet unter dem Hakenkreuz geschah, ist ein tragisches Faktum.“

Pfannenstiel bekannte später offen, dem Nationalsozialismus nahegestanden zu haben. Sein Artikel „Jugendmusik- und völkische Bewegung“, mit dem er 1933 schon im Titel die Nähe von Jugendmusikbewegung und „völkischer Bewegung“ postulierte, spricht eine klare Sprache: „Die Jugendmusikbewegung sollte darum im Nationalsozialismus ihre selbstverständliche Fortsetzung und in seiner Idee und seinen Zielen ihre Vollendung sehen, der Nationalsozialismus in der Jugendmusikbewegung einen seiner Mitstreiter um die Wiedergeburt unserer Volkskräfte“ (in: Volk im Werden, 1/1933, S. 44-51, hier S. 51). An Heinrich Schumann schrieb er am 25. 11. 1969 im „vollen Bewußtsein“ seines „damaligen Irrtums 1933, im NS die – Fortsetzung unserer Bewegung zu sehen; ein Wahn, wenn nicht Wahnsinn! – wie ich heute einsehe“ (A 228 Nr. 233).

Nach 1945 blieb Pfannenstiel zunächst ohne Beschäftigung, er hielt sich mit Tätigkeiten als Kirchenmusiker und Volkshochschuldozent in Sonthofen und Umgebung über Wasser – sein „Versuch einer Selbstdarstellung“ (s. Personenmappe im AdJMb) stellt die Zeit von 1945 bis 1949 unter die Überschrift „Aus der Bahn geworfen“: „Eine Zeit des Wartens und der Besinnung“. Zum Verfahren der Entnazifierung sind im AdJMb keine Dokumente überliefert.

1949 wurde Pfannenstiel Studienrat in Oldenburg, in den folgenden Jahren stellte er sein zweites Buch „Lied und Erziehung“ fertig (erschienen bei Möseler in Wolfenbüttel 1953), von Jöde ausdrücklich gelobt: „für den Lehrer ein unentbehrliches Standardwerk“ (Rezension in einem Werbeblatt des Möseler-Verlags „Ekkehart Pfannenstiel zum 65. Geburtstag“, s. Personenmappe des AdJMb). Physisch und psychisch ging es Pfannenstiel in der Nachkriegszeit jedoch sehr schlecht, ein Zusammenbruch führte schließlich zur frühzeitigen Pensionierung 1955.

Mit der Erholung im Ruhestand entfaltete Pfannenstiel noch einmal neue Schaffenskraft. In Oldenburg verfasste er über 10 Jahre lang die Programmtexte für die Sinfoniekonzerte (s. auch A 228 Nr. 224) und gab Konzerteinführungen, daneben machte er sich in erheblichem Maße um Schachverband und Schulschach der Region verdient (1962 war er Mitherausgeber des Bändchens „10 Jahre Schulschach im Verwaltungsbezirk Oldenburg“). Pfannenstiel baute auch seine kompositorische Tätigkeit noch einmal aus, die in früheren Zeiten eher ein Schattendasein neben seiner musikpädagogischen Arbeit geführt hatte. Er komponierte vornehmlich Vokalwerke, wobei seine oft anspruchsvolle Textwahl den literaturaffinen Komponisten zeigt. Neben Vokalwerken und insbesondere Liedsätzen, die immer im Zentrum seines kompositorischen Schaffens standen, schrieb er jedoch auch Instrumentalwerke (zu den Kompositionen s. A 228 Nr. 226-230 und Nr. 237-249). Etliche Werke blieben unveröffentlicht.

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre tat sich ein neues Betätigungsfeld auf: Ab 1966 arbeitete Ekkehart Pfannenstiel intensiv im AdJMb mit. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Archivs und war bis 1970 im Vorstand. Sein besonderes Engagement galt der Anlage der Personen- und Sachakten (vgl. z.B. das Referat zu diesem Thema in A 228 Nr. 232). Eindrucksvolles Zeugnis sind die in dieser Angelegenheit verfassten Briefe Pfannenstiels, die deutlich machen, wie eifrig und gezielt er Informationslücken aufzufüllen versuchte (s. bes. A 228 Nr. 231). Detailfragen widmete er dabei ebenso große Aufmerksamkeit wie größeren Zusammenhänge und Einschätzungen. Wiederkehrendes Thema ist das Verhältnis der Jugendmusikbewegung zur NS-Zeit. An Hellmuth Seidler beispielsweise schrieb er am 10. 5. 1969: „[Wolfgang] Stumme und ich versuchen jetzt, für das Archiv die Zeit 1933/45 klarzustellen. Von allen Seiten kommen heut Stimmen, die ganze Jödebewegung habe von Anfang an die Tendenz zum ‚Nazistischen‘ gehabt (Gemeinschaft, bodenverbundenes Lied usw.). Ich wehre mich gegen Geschichtsentstellungen. Ich bekannte mich nach 33 zu Hitler – aber diese Tendenzen sind einfach unwahr. Das Archiv braucht Material als Beweis dafür, daß es ‚uns‘ immer um ganz andere Dinge ging. […] Ich war doch damals eine Ausnahme, meine ich.“ Entsprechend am selben Tag an Willi Träder: „Ich selber bekannte mich nach 33 zu Hitler, aber ich bin doch nicht die Bewegung der vielen Jugend, die von Jöde u.a. erfaßt war. Da muß doch mal Klarheit hineinkommen; das Archiv hat eine historische Aufgabe“ (A 228 Nr. 231). Die Dokumente aus dem engeren Kreis des AdJMb spiegeln in dieser Frage allerdings eine durchaus kontroverse Diskussion auch unter den Beteiligten wider.

1986 starb Ekkehart Pfannenstiel, nach durch Krankheit und Verfall geprägten Jahren, in einem Pflegeheim in Westerstede.

(Ute Brüdermann)


Literatur:

Karl-Heinz Reinfandt: „Musikerzieher aus dem Geist der Jugendmusikbewegung. Zum Tode von Ekkehart Pfannenstiel“, in: intervalle (amj-Informationen), 1/1986, S. 24.

Kurzbiografie „Ekkehart Pfannenstiel“ in: Die deutsche Jugendmusikbewegung in Dokumenten ihrer Zeit von den Anfängen bis 1933, hrsg. vom Archiv der Jugendmusikbewegung e. V. Hamburg, Wolfenbüttel: Möseler 1980, S. 1018f.