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HHStAW Bestand ... Serie

Beschreibung

Identifikation (kurz)

Titel

Spruchkammern

Siehe

Korrespondierende Archivalien

Abt. 501: Hessisches Ministerium für politische Befreiung
Abt. 649: Amerikanische Militärregierung

Bestandsdaten

Bestandsgeschichte

Zur Aufnahme der gesamten Unterlagen (Akten, Meldebögen und Karteien) aller Spruch- und Berufungskammern in Hessen wurde zum 1. Januar 1950 ein Zentralgruppenregister (ZGR) eingeführt. Dieses war in einem Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg in der Goldsteinsiedlung (Sonnenweg 21-23) in Frankfurt a.M.-Schwanheim untergebracht. Mit Auflösung des für die Spruchkammerverwaltung zuständigen Abwicklungsamtes des Ministeriums für politische Befreiung 1954 wurde das ZGR dem Hessischen Staatsarchiv Wiesbaden als ‚Abteilung Frankfurt a.M.-Schwanheim‘ angegliedert. Als der sog. Goldsteinbunker 1976 geräumt werden musste, wurde das Archivgut zunächst in einem Außenlager des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden-Sonnenberg untergebracht. Seit dem Bezug des Archivneubaus in der Mosbacher Straße in Wiesbaden 1985 befindet sich die Überlieferung aller hessischen Spruchkammern zentral im Hessischen Hauptstaatsarchiv. Das ehemalige ZGR, das ca. 3,3 Millionen Akten und Meldebögen umfasst, bildet den Bestand Abt. 520, der in 41 Unterbestände (Abt. 520/01–520/41) gegliedert und in Teilen in Arcinsys verzeichnet ist.

Geschichte des Bestandsbildners

Mit dem Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 (BefrG, GVBl. S. 57) begann die ‚Entnazifizierung‘ der erwachsenen Bevölkerung in Hessen unter Verantwortung der deutschen Zivilverwaltung. Demnach sollten die durch das Befreiungsgesetz Betroffenen in fünf Kategorien der Belastung eingestuft werden, nämlich Gruppe I: Hauptschuldige, Gruppe II: Belastete, Gruppe III: Minderbelastete, Gruppe IV: Mitläufer und Gruppe V: Entlastete. Vom Befreiungsgesetz nicht betroffene Personen sollten entsprechende Bescheide erhalten. Zunächst musste jedoch jede Person über 18 Jahre einen Meldebogen ausfüllen, ein Formular, in dem u.a. abgefragt wurde, ob der Betreffende Mitglied der NSDAP, ihrer Gliederungen (SA, SS, NSKK, HJ etc.) und angeschlossenen Verbände (z.B. DAF) gewesen war. Zur Durchführung der Entnazifizierungsverfahren wurden im Frühjahr 1946 in allen hessischen Stadt- und Landkreisen erstinstanzliche Spruchkammern und acht Berufungskammern eingerichtet, letztere zeichneten jeweils für mehrere Landkreise bzw. Städte verantwortlich.

Wird der Beginn der Entnazifizierung allgemein mit der Verabschiedung des Befreiungsgesetzes vom 5. März 1946 angesetzt, so nahmen die einzelnen Kammern ihre Arbeit faktisch zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf. Gemäß der Durchführungsverordnung Nr. 1 zum Befreiungsgesetz war für den Rücklauf der Meldebögen aller durch das Gesetz erfassten Personen als Starttermin ursprünglich der 15. April 1946 vorgesehen, dieser Termin konnte jedoch nicht eingehalten werden. Schließlich wurde verfügt, dass spätestens bis zum 30. April 1946 in jedem Stadt- und Landkreis Spruchkammern eingerichtet sein und das Befreiungsgesetz ausgeführt werden sollte.

Der Ablauf eines Spruchkammerverfahrens ist einem gerichtlichen Strafverfahren vergleichbar, jedoch wurde hier die Beweislast umgekehrt: Der Betroffene musste nachweisen, dass er nicht in das NS-System verstrickt gewesen war, also aktiv Belege zu seiner Entlastung vorbringen. Aus diesem Grund legten Betroffene den Spruchkammern regelmäßig Entlastungszeugnisse vor, sog. ‚Persilscheine‘, die das Entnazifizierungsverfahren günstig beeinflussen sollten. Darüber hinaus fällte eine Spruchkammer keine Urteile, vielmehr ergingen Sprüche, die mit Sühnemaßnahmen verbunden sein konnten. Je nach Grad der Belastung bestanden diese Sühnemaßnahmen z.B. aus Haft in einem Arbeitslager, einem dauerhaften oder zeitweiligen Berufsverbot, dem Verlust von Renten- bzw. Pensionsansprüchen oder Geldbußen.

Im weiteren Verlauf der Entnazifizierung wurden zwecks Beschleunigung der Verfahren verschiedene Amnestie-Verordnungen erlassen, die Jugend-, Heimkehrer- und Weihnachtsamnestie. Diese dienten dem Zweck, bestimmte Personengruppen (Jugendliche, Kriegsheimkehrer) sowie nominelle Mitglieder der NSDAP, die durch das NS-System wirtschaftlich nicht profitiert hatten, vereinfacht zu entnazifizieren. Grundsätzlich konnten die Amnestie-Verordnungen nur auf Betroffene angewendet werden, gegen die kein hinreichender Verdacht bestand, dass sie als Hauptschuldige oder Belastete einzustufen waren. Zunächst wurde die Jugendamnestie (JA) durch Beschluss des Länderrates vom 6. August 1946 mit Zustimmung von General Lucius D. Clay, stellvertretender Militärgouverneur in der amerikanischen Besatzungszone, in Kraft gesetzt. Sie galt für Personen, die nach dem 1. Januar 1919 geboren waren. Die sog. Weihnachtsamnestie (WA) wurde am Weihnachtsabend 1946 durch Militärgouverneur General T. McNarney auf dem Frankfurter Römer verkündet und trat zum 5. Februar 1947 in Kraft. Alle Personen, deren steuerpflichtiges Vermögen zum Jahreswechsel 1943/44 nicht mehr als 3600 Reichsmark und am Stichtag 1. Januar 1945 weniger als 20.000 Reichsmark betragen hatte, sollten einen Amnestiebescheid erhalten. Gleiches galt für alle zu mindestens 50 Prozent Kriegsversehrten. Und schließlich wurde am 15. April 1948 das Gesetz über die Anwendung des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus auf Heimkehrer erlassen. Demnach waren Verfahren gegen Kriegsgefangene, die nach dem 8. Mai 1947 in die amerikanische Zone entlassen wurden, einzustellen (Heimkehreramnestie, HA).

Für den Rechtszug erster Instanz wurden in den drei Regierungsbezirken Darmstadt, Kassel und Wiesbaden im Frühjahr 1946 folgende Spruchkammern gebildet:

1. Regierungsbezirk Darmstadt
Alsfeld, Bergstraße, Büdingen, Darmstadt-Land, Darmstadt-Stadt, Dieburg, Erbach, Friedberg, Gießen-Land, Gießen-Stadt, Groß-Gerau, Lauterbach, Offenbach-Land und Offenbach-Stadt.

2. Regierungsbezirk Kassel
Eschwege, Fritzlar-Homberg, Fulda-Land, Fulda-Stadt, Hersfeld, Hofgeismar, Hünfeld, Kassel-Land, Kassel-Stadt, Korbach-Waldeck, Marburg-Land, Marburg-Stadt, Melsungen, Rotenburg, Witzenhausen, Wolfhagen und Ziegenhain.

3. Regierungsbezirk Wiesbaden
Biedenkopf, Dillkreis,Frankfurt a.M.-Stadt, Gelnhausen, Hanau-Land, Hanau-Stadt, Limburg, Main-Taunus-Kreis, Oberlahnkreis, Obertaunuskreis, Rheingaukreis, Schlüchtern, Untertaunuskreis, Usingen, Wetzlar und Wiesbaden-Stadt.

4. Die Spruchkammern des Internierungslagers Darmstadt und des Offizierslagers Neustadt (letztere ohne eigenen Bestand).

Für den Rechtszug zweiter Instanz waren die Berufungskammern in Darmstadt, Frankfurt a.M., Fulda, Gießen, Kassel, Bad Wildungen, Marburg und Wiesbaden zuständig. Die Spruchkammern waren dem Ministerium für politische Befreiung mit Sitz in Wiesbaden unterstellt. Im Herbst 1948 wurden die erstinstanzlichen Spruchkammern sukzessive aufgelöst und deren Zuständigkeiten auf die Berufungskammern übertragen. Zum 31. Dezember 1949 stellten auch die Berufungskammern ihre Arbeit ein. Fortan zeichneten zwei Zentralspruch- und Berufungskammern für die Entnazifizierung verantwortlich: Die Zentralspruch- und Berufungskammer Hessen-Nord in Kassel war zuständig für Fulda, Kassel, Korbach-Waldeck und Marburg, die Zentralspruch- und Berufungskammer Hessen-Süd in Frankfurt a.M. für Darmstadt, Frankfurt, Gießen und Wiesbaden (StAnz. S. 501). Zum 1. April 1950 wurde auch Hessen-Nord in Kassel aufgelöst (StAnz. S. 121). Die verbleibende Zentralspruch- und Berufungskammer Hessen in Frankfurt a.M. setzte ihre Tätigkeit noch bis zum 31. Dezember 1954 fort (GVBl. S. 271). Mit der Abwicklung dieser Stelle wurde die Entnazifizierung in Hessen eingestellt.

Enthält

2800 m Einzelfallakten und Meldebögen 1946-1955.

Literatur

Kropat, Wolf-Arno: Hessen in der Stunde Null 1945/47. Politik, Wirtschaft und Bildungswesen in Dokumenten. Wiesbaden: Historische Kommission für Nassau, 1979 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 26). S. 235–257.

Kropat, Wolf-Arno (Bearb.): Entnazifizierung. Mitbestimmung. Schulgeldfreiheit. Hessische Landtagsdebatten 1947–1950. Eine Dokumentation. Wiesbaden: Historische Kommission für Nassau, 2004 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 73; Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen 31). S. 224–244.

Mühlhausen, Walter: Hessen 1945–1950. Zur politischen Geschichte eines Landes in der Besatzungszeit. Frankfurt a.M.: Insel-Verlag, 1985 (Die Hessen-Bibliothek im Insel-Verlag). S. 307–342.

Schuster, Armin: Die Entnazifizierung in Hessen 1945–1954. Vergangenheitspolitik in der Nachkriegszeit. Wiesbaden: Historische Kommission für Nassau, 1999 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 66; Vorgeschichte und Geschichte des Parlamentarismus in Hessen 29).

Findmittel

Kartei (120 Schränke; Betroffene, Nichtbetroffene und Amnestierte)

Teilbestand (Betroffenenakten einzelner Spruchkammern): Online-Datenbank (Arcinsys)