Drucken

AdJb Bestand N 9

Beschreibung

Identifikation (kurz)

Titel

Halm, August (1869-1929)

Siehe

Korrespondierende Archivalien

N 35 Nachlass Nachlass Gustav Wyneken

Bestandsdaten

Aufsatz

August Halm wurde 1869 als Sohn eines Pfarrers und Lehrers in Großaltdorf/ Schwäbisch Hall geboren. Musikalisch gefördert wurde er bereits im Elternhaus, seine Mutter gab ihm und seinem Bruder Klavierunterricht. Er studierte an der Universität Tübingen zunächst Theologie, wobei sein Bekannter Ernst Rahn berichtet: „August schien am studentischen Leben, obwohl er bei der Verbindung Wirtembergia aktiv geworden war, nicht viel teilzunehmen; er lebte ein wenig als Sonderling und machte aus seiner Abneigung gegen das ihm aufgezwungene theologische Studium kein Hehl“ (Notizen von Ernst Rahn über August Halms Jugendjahre, Typoskript, AdJb N 9 Nr. 1). Halm begann parallel ein Musikstudium bei Emil Kauffmann, der ihm die Musik Hugo Wolfs nahe brachte und 1891 auch Kontakt zu dem Komponisten ermöglichte. Nach einem gescheiterten Vikariat unterstützte ihn Kauffmann dabei, ab 1892 in München bei Josef Gabriel Rheinberger Komposition zu studieren.

Anschließend begann Halm in Heilbronn als Dirigent der Gesellschaft für Klassische Kirchenmusik und als Musiklehrer. Gleichzeitig versuchte er, als Komponist Fuß zu fassen. Aus einer Vermischung theologischen und musikalischen Gedankenguts entwickelte er eine eigene Musikästhetik, die um den „Geist“ kreiste: Er sprach von „Kultur-Geist“ oder von dem „Musikgeist“, dem der Mensch dienen und das „Unendliche“ in der Musik empfinden müsse. Bereits seine erste größere Komposition, Horae Poenitentialis, gab dieser Verbindung Ausdruck. Von einem anfangs noch von Wolf inspirierten Stil wandte sich Halm später ab zu einer verstärkt klassischen und vorklassischen Stilistik.

Als er 1903 als Musikerzieher am Landerziehungsheim Haubinda begann, fand er in seinem Kollegen Gustav Wyneken einen Gleichgesinnten, der seine Vorlieben für Bach und Beethoven wie auch seine Ansichten von einem „Musikgeist“ teilte. Während Wyneken aus jugendbewegten Vorstellungen heraus Kritik an der bürgerlichen Erziehung übte und reformpädagogische Ziele zu einer natürlichen Selbstentwicklung mit einer pseudoreligiösen Vorstellung von einer prophetischen Erzieherfigur verband, war es vor allem die Ebene der musischen Erziehung, für die er in Halm nun einen profunden Gesinnungsgenossen gefunden hatte. Gemeinsam mit Paul Geheeb, Martin Luserke und Rudolf Aeschlimann gründeten Halm und Wyneken 1906 die Freie Schulgemeinde Wickersdorf, in der sie ihre eigenen Vorstellungen von Pädagogik und musischer Erziehung umsetzen konnten. Ausgangspunkt war zunächst die Idee einer Gemeinschaft, von der Schule als „Gemeinde“, in Verbindung mit reformpädagogischen Ansätzen. Halm prägte den musischen Charakter der Schulgemeinde durch ein völlig neues Anspruchsdenken, das allein musikalische Meisterwerke und für hochwertig erachtete Musik als Gegenstand der Musikerziehung akzeptierte. So war der Wickersdorfer Schulalltag ganz auf die Vermittlung der Klassiker Bach, Beethoven und Bruckner ausgerichtet, dabei auch Halms persönlichen Vorlieben entsprechend. Indem die Beschäftigung mit Musik und die Erziehung zum Musischen zum festen Bestandteil der Wickersdorfer Schulgemeinde wurde, erlangte die Freie Schulgemeinde auf diesem Gebiet eine wichtige Vorbildfunktion.

1910 verließ Halm Wickersdorf. Während verschiedener Tätigkeiten, wie Leiter der Liedertafel in Ulm, Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung in Stuttgart, Musiklehrer in Esslingen und am Seminar in Künzelsau, wurde er vor allem auch musikschriftstellerisch tätig. Er veröffentlichte 1913 den Band „Von zwei Kulturen der Musik“, in dem er Grundlagen seiner Musikästhetik skizzierte, die von zwei verschiedenen Formen ausging: „Die Fugenform ist die Form der Einheitlichkeit, die Sonatenform diejenige der Gegensätzlichkeit; die erstere hat es grundsätzlich mit einem Thema zu tun, die letztere mit mehreren oder vielen.“ Daraus leitete er das Ziel einer Synthese ab, die er in seinem Vorbild Anton Bruckner umgesetzt sah: „Eine dritte Kultur, die Synthese der beiden, von denen wir in diesem Buch ein Bild zu geben versucht haben, ist zu erwarten, die erst die volle Kultur der Musik, nicht mehr nur eine Kultur sein wird, und ich glaube, sie ist schon begründet, vielleicht schon erreicht“ (August Halm, Von zwei Kulturen der Musik (dritte Auflage), Stuttgart 1947, S. 7 und S. 253). Sein Ziel war es, mit seinen Kompositionen ebenfalls eine solche Synthese anzustreben, auch wenn sein Vorbild Bruckner in seinen eigenen Augen unerreichbar blieb.

1913 heiratete er Hilda Wyneken, die Schwester seines Freundes Gustav Wyneken. Mit der wesentlich jüngeren Hilda (1887–1965) teilte er vor allem sein Interesse an der Kunst und seine eigenen Versuche als Maler; in zahlreichen Briefen vertraute er ihr seine Gedanken zu Kunst wie auch zur Musik und seinen eigenen Kompositionen an. Eine Vielzahl von Zeichnungen und Skizzen dokumentieren die bildende Kunst als ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld Halms. In Stuttgart kam Halm mit mehreren Künstlern in Kontakt, u.a. stand er in Austausch mit Adolf Hölzel, zu dessen Kreis auch Oskar Schlemmer gehörte.

Auch wenn er selbst sich vorwiegend als Komponisten sah, wurde Halm vor allem als Autor und Pädagoge bekannt. Insbesondere seine Instrumentallehrwerke, die Klavier- und die Violinübung, erfuhren weite Verbreitung. Seine zahlreichen theoretischen Publikationen entstanden nicht zuletzt aus seiner vertieften Auseinandersetzung mit Fragen der Musikästhetik. Als Musikkritiker wandte er sich dabei auch gegen die feuilletonistische Hermeneutik seiner Zeit; so habe er seine Schriften verfasst „weil ich ferner das Bedürfnis hatte, den mancherlei hermeneutischen Schriften über Musik, welche ich viel mehr an der Musik vorbei als in sie hineinführen sah, andere entgegen zu setzen, die nun auch wirklich von musikalischen Dingen handeln sollten“ (August Halm, Ueber mein musikalisches Schaffen, in: Neue Musikzeitung, Jg. 49, 1928, Heft 12, S. 371-378, hier S. 376).

Dass seine Kompositionen nicht die Verbreitung fanden, die Halm sich erhofft hatte, war für ihn zeitlebens eine Enttäuschung. So beklagte er in seinen Schriften seine Popularität als Musikschriftsteller und Pädagoge, die in seinen Augen seiner eigentlichen Tätigkeit, dem Komponieren, im Wege stehe. Neben Lehrwerken und Kompositionen für den schulischen Gebrauch schrieb Halm diverse kammermusikalische Werke, Konzerte und Sinfonien. In seinem persönlichen Umfeld fanden sich einige Fürsprecher und Anhänger seiner Musik; 1910 war sogar eine „Gesellschaft zur Veröffentlichung der Werke August Halms“ gegründet worden, die aus einem Spendenaufruf in der Juli-Ausgabe der Freien Schulgemeinde hervorgegangen war.

1920 kehrte Halm als Lehrer zurück zur Freien Schulgemeinde Wickersdorf, zeitweilig übernahm er auch die Schulleitung. Nur losen Kontakt hatte er mit der in dieser Zeit aufkommenden Musikantengilde. So nahm er 1924 an der Reichsführerwoche der Musikantengilde auf der Jugendburg Lobeda teil und traf dort u.a. auf Fritz Jöde und Willi Siegele. In einem Brief an seine Frau lobte er zwar Jöde: „Jöde gefällt mir, viel Energie, Bestimmtheit. Sein Melodielehrkurs ist gut“ (16.2.1924, nach einer Abschrift von Auszügen aus Briefen Halms an seine Frau Hilda, AdJb A 228 Nr. 8282). Trotzdem waren die neuen Entwicklungen rund um die Musikantengilde, die wiederum gern auf ihn und seine musikpädagogischen Errungenschaften Bezug nahm, für Halm eher enttäuschend. Auch wenn er in seiner Ausgangsposition, dass die akademische bürgerliche Musikausübung zu einer Entfremdung einer breiten Gesellschaftsschicht beigetragen habe, noch mit der Jugendmusikbewegung übereinstimmte, lehnte Halm doch die propagierte Überlegenheit des Singens und des Volkslieds ab. Seine Musikästhetik war zutiefst verwurzelt in der Instrumentalmusik, Vokalmusik war in seinen Augen als minderwertig anzusehen, weshalb er die Entwicklungen der Jugendmusikbewegung letztlich nicht befürworten konnte.

Im Jahr 1929 ist August Halm nach einer Blinddarmentzündung gestorben. Lange Zeit galt er neben Heinrich Schenker als einer der wichtigsten Musiktheoretiker des frühen 20. Jahrhunderts. Mit Schenker stand er mindestens zehn Jahre in brieflichem Kontakt (die Korrespondenz ist online zu finden unter https://schenkerdocumentsonline.org/profiles/person/entity-000326.html ). Bereits zu Lebzeiten hatte die Halm-Gesellschaft Dokumente und Werke Halms gesammelt; nach seinem Tod bemühte man sich weiter um die Verbreitung seiner Werke und um die Zusammenstellung seines Nachlasses. Neben dem Teilnachlass im AdJb finden sich Teilnachlässe in der Landesbibliothek Stuttgart und dem Deutschen Literaturarchiv Marbach.

Amrei Flechsig

Bestandsgeschichte

Der Nachlass August Halms wurde 1969 zwischen der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach und dem Archiv Burg Ludwigstein aufgeteilt.

Geschichte des Bestandsbildners

* 26.10.1869 in Groß-Altdorf, + 1.2.1929 in Saalfeld.
Die Person des Musikpädagogen, Komponisten, Dirigenten, Musikschriftstellers und Malers August Halm ist eng mit der Geschichte der Freien Schulgemeinde Wickersdorf und somit mit jener reformpädagogischen Richtung der Jugendbewegung verbunden, die von Gustav Wyneken als 'Jugendkultur' bezeichnet wurde. Seit 1903 gemeinsam mit Wyneken am Landeserziehungsheim Haubinda tätig, gehörte Halm dem Wickersdorfer Lehrerkollegium von 1906 bis 1914 als Kunsterzieher an und prägte in entscheidender Weise das Kunstverständnis dieser Eliteschule. Nach sechsjähriger Tätigkeit an der Evangelischen Lehrerbildungsanstalt Eßlingen kehrte Halm 1920 nach Wickersdorf zurück und leitete die Schule bis zu seinem Tode im Jahre 1929.

Enthält

Dieser Teilnachlass enthält neben einer vollständigen Reihe der Kompositionen Halms und einer Schenkung von Zeichnungen und Aquarellen durch Rudolf Rahn vorwiegend das auf die Jugendbewegung und die Schulgemeinde Wickersdorf bezogene Material sowie biografische Unterlagen. Auch die Tätigkeit der drei August-Halm-Gesellschaften, die sich seit 1910 um das Lebenswerk des Künstlers bemühen, ist überliefert.

Literatur

Heussler, Carla: Ein Komponist als bildender Künstler. Die "zweite Passion" von August Halm, in: Musik in Baden-Württemberg. Jahrbuch, 25 (2019/2020), S. 293–303

Höckner, Hilmar: August Halm und die Musik in der freien Schulgemeinde Wickersdorf, Wolfenbüttel, Berlin: Kallmeyer, 1927

Rothfarb, Lee A.: „Musik und Theologie. August Halm am Kreuzungspunkt seines beruflichen und schöpferischen Weges“, in: Musik in Baden-Württemberg. Jahrbuch, 3 (1996), S. S. 115–134

Rothfarb, Lee A.: „Zwischen Originalität und Ideologie. Die Musik von August Halm (1869–1929)“, in: Musik in Baden-Württemberg. Jahrbuch, 5 (1998), S. 175–199

Rothfarb, Lee A.: August Halm, A Critical and Creative Life in Music. University of Rochester, Rochester 2009

Rothfarb, Lee A.: „August Halm (1869-1929): Öffentlicher Intellektueller und musikalisches Gewissen seiner Zeit“, in: Musik in Baden-Württemberg. Jahrbuch, 25 (2019/2020), S. 285-292

Schmalzriedt, Siegfried: August Halms musikalische Ästhetik – Versuch einer Darstellung, in: Halm, August: Von Form und Sinn der Musik. Gesammelte Aufsätze, mit einem einführenden Essay hrsg. von Siegfried Schmalzriedt, Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 1978, S. 3-56

"Ludwigsteiner Blätter", Nr. 86/1970

Findmittel

Online-Datenbank (ArcInSys)

Weitere Angaben (Bestand)

Umfang

6 Archivkartons

Informationen / Notizen

Zusatzinformationen

Weiteres Material zu August Halm ist im Nachlass von Gustav Wyneken enthalten, so ausführliche Korrespondenz und Unterlagen zu den Bemühungen Wynekens um die Herausgabe von Werken Halms.