AdJb Bestand N 86

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Beschreibung: Bestand

Identifikation (kurz)

Titel 

Poppe, Richard (1884-1960)

Bestandsdaten

Aufsatz 

Geboren 1884 in Halle/Saale war Richard Poppe schon in seiner Schulzeit an der „Latina“ der Franckeschen Stiftungen in einem Sängerbund aktiv. In einem seiner Rundbriefe berichtet er ausführlicher über seine Jugend (Nr. 22, 20.5.-4.7.1957, AdJb A 228 Nr. 1505): Geprägt von einer lange zurückreichenden Tradition von Lehrern und Organisten, war das Leben in seinem kinderreichen Elternhaus nicht einfach und sehr auf schulisches Lernen ausgerichtet. Für den Klavierunterricht bei seinen Eltern zeigte er wenig Begabung bzw. Ausdauer, auch wenn er rückblickend resümiert: „Ich bin zeit meines Lebens ein stummer Musikant geblieben und habe dieses ‚Trauma‘, wie man später sagte, nie verwunden“ (ebd., S. 5). Umso mehr hatte es ihn dafür das Singen angetan, das er sowohl in der Schule im „Loreley“-Bund wie auch bei jugendlichen Kneipenbesuchen pflegte. Während des Studiums alter Sprachen und Germanistik in Halle und Tübingen schloss er sich der Deutschen Sängerschaft an. Rückblickend spricht er hier von einer gewissen „Zucht“, dass „zweimal im Jahr […] von der musischen Arbeit öffentlich Zeugnis abgelegt werden“ musste, hebt aber auch das Gemeinschaftliche hervor: „Wichtiger aber war das Zusammenleben ‚auf dem Hause‘, das auch außerhalb der Übungsstunde vom Singen bestimmt war“ (ebd., S. 5). Der Aspekt des Zusammenlebens sollte für Poppe auch später von großer Bedeutung werden, als er den Jugendhof Hassitz gründete.

1910 gehörte er zu den Mitbegründern des schnell wachsenden Wandervogels Waldenburg. Erneut stand für ihn das Singen innerhalb der Wandervogel-Aktivitäten im Vordergrund, wobei sich nun ein anderes Repertoire herausbildete, das sich vom schulisch geprägten unterschied. Im gleichen Jahr begann er als Oberlehrer in Waldenburg (Schlesien). 1912 wurde er zum Bezirksjugendpfleger Breslau bestellt und begann mit Jugendarbeit, vor allem mit der Organisation von Jugendfesten und Jugendtreffen (bekannt wurde das „Bergfest“ in Waldenburg). 1924 übernahm er das Jugendherbergswerk Breslau und brachte den Ausbau der Jugendherbergen voran.

1923 lernte Poppe Walther und Olga Hensel kennen und nahm an der ersten Singwoche in Finkenstein teil. Aus seiner großen Begeisterung heraus organisierte er kurze Zeit später eine weitere Hensel-Singwoche im schlesischen Gnadenfrei. Damit gab er den Anstoß zu einer Verstetigung der Hensel-Singwochen, deren Organisation er gemeinsam mit Karl Vötterle (Gründer des Bärenreiter Verlags, Herausgeber der Finkensteiner Blätter und der Zeitschrift „Die Singgemeinde“) übernahm. Dies bildete den Ausgangspunkt der Finkensteiner Bewegung bzw. des Finkensteiner Bundes, der später auch ins Vereinsregister eingetragen wurde. Schnell wurden die Henselschen Singwochen überregional bekannt und gefragt.

Poppe setzte sich darüber hinaus auch für Walther Hensel persönlich und dessen Lebensunterhalt ein, verhalf ihm Ende 1925 zu einer Stelle in Dortmund als Leiter der neu gegründeten Städtischen Jugendmusikschule und als Jugendmusikpfleger. Laut Poppe war Hensel menschlich nicht sehr umgänglich und voller Misstrauen gegenüber seinen Mitstreitern; Ende der 1920er Jahre kamen bereits große Differenzen zwischen Hensel und dem Finkensteiner Bund auf. Eine Auseinandersetzung 1933 in Verbindung mit dem nationalsozialistischen Zwang zur Gleichschaltung führte schließlich zur Auflösung des Finkensteiner Bundes (zur Fortsetzung gründete Karl Vötterle mit Richard Baum den „Arbeitskreis für Hausmusik“ in Kassel). Wie sich Poppe in einem Rundbrief erinnert, gab es später nur noch eine kurze Korrespondenz zwischen ihm und Hensel, daraufhin schlief der Kontakt vollends ein (Rundbrief Nr. 22, 20.5.-4.7.1957, AdJb A 228 Nr. 1505).

Auch Karl Vötterle betonte die Bedeutung, die Poppe als Organisator zukam, sowie das Konfliktpotential, das mit der Rollenverteilung verbunden war: „Richard Poppe, der getreue Eckart des Finkensteiner Bundes, wußte, daß Hensel dieser intuitiv Erkennende war und hat oft mit mir erlebt, wie wenig dieser Mann für eine Zusammenarbeit am Verhandlungstisch geeignet war. Dort machte Hensel geradezu einen kläglichen Eindruck. Um so wichtiger war es, daß Richard Poppe, der klarblickende und handelnde, lautere Charakter, in den Vordergrund trat, was nun wiederum bedeutete, daß er von Hensel zunehmend gemieden wurde.“ (Karl Vötterle: Vor vierzig Jahren begegnete ich Walther Hensel, Vortrag bei der Mitgliederversammlung des AfH, 7.10.1961, S. 12, AdJb A 228 Nr. 8290)

Mit dem Jugendhof Hassitz bei Glatz (Kłodzko) gründete Poppe 1926 einen eigenen Ort, an dem er seine Arbeit konzentrieren konnte: Hier flossen seine Erfahrungen aus der Jugendarbeit, der Herbergsorganisation und der Singarbeits-Planung zusammen. Er prägte den Hof mit seinen Idealen von einem gemeinschaftlichen Leben und kultureller Arbeit. Der Jugendhof wurde nicht nur zu einem festen Standort für die Finkensteiner Bewegung; Poppe machte den Jugendhof auch zu einem Ort allgemeiner Kulturarbeit mit Laienspielen, Volkstanz und Werkarbeiten. Neben seiner eigenen oft erwähnten Ausstrahlungskraft waren es u.a. Kollegen wie Alfred Rosenthal-Heinzel als Singleiter, die den Jugendhof überregional bekannt machten.

Zum Mittelpunkt des Jugendhofes wurde die Orgel „Ver sacrum“, die 1929 von der Firma Sauer erbaut wurde – bei der Erstellung der Disposition beriet Christhard Mahrenholz. Eingeweiht wurde die Orgel am 6. Oktober 1929 anlässlich der Singwoche „Musik und Kirche“ durch den bekannten Leipziger Thomas-Organisten Günther Ramin. Bezahlt wurde der Bau mit Hilfe einer weiträumigen Spendensammlung, wobei die Schulden noch bis 1938 abgetragen werden mussten. Für Poppe wurde diese Orgel zum Ausdruck seiner Ziele und Ideen, wie aus seinen Rundbriefen deutlich wird, in denen wiederholt die Orgel, ihre Finanzierung und später der Verlust thematisiert wird. Mit der Namensgebung „Ver sacrum“ lässt Poppe eine kultische Vorstellung anklingen, die im Sinne seiner Ideale von Gemeinschaft und Erneuerung der Menschen eine Mahnung an „die Toten (des Krieges) und Lebenden“ ausdrücken sollte: „Ein neuer ‚heiliger Frühling‘, eine neue Zeit soll aus ihrem Dienst den hier Weilenden und Suchenden erblühen, daß unser Volk wieder gesunde und neues Leben an dem Stamme sich zeige: ‚Ver sacrum‘.“ („Die Orgel Ver sacrum im Jugendhof Hassitz vor Glatz“, in: Musik und Kirche, 5/1929, S. 239)

Manche Vorstellungen und Formulierungen Poppes wie Idee des „heimlich-offenen Bundes“ oder der Gedanke einer „Zucht und Treu haltenden Gemeinde“ lassen sich auf Paul de Lagarde zurückführen, dessen Schriften in den jugendbewegten Kreisen um Poppe verbreitet waren. So sind Poppes Vorstellungen und Ideale im Kontext völkischer Tendenzen zu sehen, zumal auch die Finkensteiner Bewegung um Hensel aus der völkisch orientierten Böhmerland-Bewegung hervorgegangen war. Poppes zusätzliches Engagement in der Deutschen Sängerschaft ließ ein weiträumiges Netzwerk entstehen.

Ein schwerer Autounfall im Jahr 1931 machte ihn lebenslang gehbehindert. Zwei Jahre später wurde er aus politischen Gründen „beurlaubt“: Ein tiefgreifender Einschnitt für Poppe war die Enteignung des Jugendhofs Hassitz mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933; der Hof wurde für Zwecke der Hitlerjugend weitergenutzt. Poppe selbst wurde nach eigenen Angaben für „politisch unzuverlässig“ erklärt (Richard Poppe, Politischer Werdegang, Typoskript-Entwurf, 1947, AdJb N 86 Nr. 12) und litt unter Anfeindungen und Arbeitsbehinderungen. Nachdem Poppe seine Tätigkeit und seinen Lebensmittelpunkt verloren hatte, begann er wieder, als Lehrer (Studienrat) in Breslau zu arbeiten (nach Zwischenstationen in Waldenburg und Bunzlau).

Dennoch hielt er fortwährend den Bezug zum ehemaligen Jugendhof Hassitz und den Kreisen der Finkensteiner Bewegung aufrecht, indem er regelmäßig Rundbriefe an einen weiten Adressatenkreis versandte, um einerseits die ehemaligen Mitstreiter zusammenzuhalten, andererseits auch über die weiteren Vorgänge rund um den Jugendhof informiert zu halten. Er ermöglichte einen gegenseitigen Austausch, da er alle seine Adressaten immer dazu aufrief, auch persönliche Berichte beizusteuern. Als Quellensammlung insbesondere aus den Kriegszeiten kommt den Rundbriefen daher eine wichtige Bedeutung zu.

1943 trat Poppe vorzeitig in den Ruhestand; seinen Berichten zufolge nach einem Nervenzusammenbruch infolge der politischen Anfeindungen (ebd.). Im Zuge der Vertreibungen 1945 floh Poppe aus Breslau zunächst nach Greiffenberg, dann weiter nach Rothenburg ob der Tauber, bis er schließlich in Creglingen ein neues Zuhause fand. Ein hilfreicher Kontakt war ihm dort Pfarrer Heinrich Mohr de Sylva, der ebenfalls aus der Singbewegung kam und eigene Singaktivitäten begründet hatte. So erwähnt Poppe in einem Rundbrief: „Seit dem 5.3.1945 hausen wir, von Heinrich und Hanna Mohr freundlich mit Hausrat, Gerät und Kleidung versehen, im Giebel des ehemaligen Postgebäudes an der Brücke des Herrgottsbaches“ (Rundbrief 1 vom 2. August 1946, AdJb A 228 Nr. 1505). Zu Heinrich Mohr und seiner Frau Hanna pflegte Poppe auch in seinen letzten Jahren noch einen herzlichen Briefkontakt (siehe N 276 Nr. 37).

Seine Rundbriefe führte er bis zu seinem Tod konsequent weiter, um den Zusammenhalt nicht abreißen zu lassen. Nach dem Krieg nimmt Poppes Hoffnung auf die Gründung eines neuen Hofes und den Bau einer neuen Orgel darin zentralen Raum ein. Der Gedanke des Neuaufbaus beschäftigte ihn bis an sein Lebensende, zeitweilig klingen die Pläne für einen neuen Hof und den Wiederaufbau der Orgel bereits durchaus real, es wurden mehrere konkrete Orte als mögliche Optionen ins Auge gefasst. Dennoch konnte Poppe eine Umsetzung vor seinem Tod im Jahr 1960 nicht mehr erleben. Seine zerrüttete Gesundheit hatte ihm seine letzten Lebensjahre zunehmend erschwert, auch wenn ihm durch das Geschenk seiner Freunde, ein Volkswagen zu seinem Geburtstag im Jahr 1954, noch einmal neue Mobilität ermöglicht worden war, die er für ausgedehnte Reisen nutzte (siehe Rundbrief Nr. 22, 20.5.-4.7.1957, AdJb A 228 Nr. 1505).

Auch im Nachruf Erna Poppes für ihren Mann an die Rundbriefempfänger klingt wieder die Vision von einer Neugründung an, denn sie endet mit den Worten: „Wer soll, wer kann Richards Arbeit weiterführen? Das ist die Frage, die aus so vielen Briefen klingt. Er selbst hat sich oft Gedanken darüber gemacht und sich gewünscht, daß die Herzkraft, die in den Rundbriefen aufgespeichert ist, nicht verloren gehe. Noch ist sie da, das ist mir hundertfältig aus Euren Briefen entgegengeklungen und ich weiß heute, daß Ihr alle, jeder an seiner Stelle, aufgerufen seid, sie zu hüten und zu mehren. Dann wären wir dem Ziel seiner Lebensarbeit weiterhin tätig auf der Spur, dem Ziel, das er sich für ein Volk ersehnt hat, dem VER SACRUM, dem heiligen Frühling.“ (Nachrufschreiben Erna Poppes für Richard Poppe, April 1961, AdJb N 276 Nr. 37).

Seine Witwe setzte nach Poppes Tod schließlich seinen Traum von einer neuen Orgel in die Tat um: Mit den für diesen Zweck gesammelten Spendengeldern, die sie durch die Währungsreform hindurch noch retten konnte, ließ sie eine neue kleine Orgel auf Burg Ludwigstein bauen (Orgelbauer war Paul Ott). In Gedenken an die Orgel des Jugendhofes Hassitz wurde ihr wieder der Name „Ver sacrum“ verliehen und eine entsprechende Vignette mit dem ursprünglichen Baum-Symbol angebracht.

Amrei Flechsig

Geschichte des Bestandsbildners 

* 2.8.1884 in Halle a.d. Saale, + 27.12.1960 in Creglingen a.d. Tauber.
Pädagoge, Jugendpfleger.
Mitgliedschaft im Wandervogel e.V., Steglitz, im Waldenburger Wandervogel (1911), im Finkensteiner Bund (Mitbegründer) sowie in der Deutschen Sängerschaft.
Gründer und Leiter des Jugendhofes Hassitz

Literatur 

Charlotte Wäsche: Vom Singen im Volke. Richard Poppe (1884-1960) und die Ideale des Finkensteiner Bundes (Würzburger Hefte zur Musikpädagogik, Band 2), Weikersheim: Margraf Publishers, 2007

Richard Poppe: Ein Leben für die Jugend, Heimat und Volk, hrsg. von Wilhelm Menzel, Eigenverlag, 1966

Findmittel 

Online-Datenbank ArcInSys

Weitere Angaben (Bestand)

Umfang 

4 Archivkartons