AdJb Bestand A 228 > Jöde, Fritz

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Beschreibung: Gliederung (Klassifikation)

Identifikation (Gliederung)

Titel 

Jöde, Fritz

Aufsatz 

Fritz Jöde, geb. 2.8.1887 Hamburg, gest. 19.10.1970 Hamburg; Musikpädagoge

Fritz Jöde wurde am 2. August 1887 in Hamburg geboren. Sein Vater, ein Schuhmachermeister, liebte Musik: Er spielte Ziehharmonika und sang in der Liedertafel des Arbeiter-Bildungsvereins (Volksbildungsverein von 1856). Über deren Auftritte schreibt Jöde später: „Was Geschmack ist, konnte ich bei den Vorführungen nicht lernen, aber was Liebe zu Liedern ist, das nahm ich auf“ („Woher das alles gekommen ist in meinem Leben“, Typoskript, 3 S., AdJb A 228 Nr. 1385). Nach dem Besuch der Volksschule Repsoldstraße (1893-1902) absolvierte Fritz Jöde eine Volksschullehrerausbildung am Hamburger Lehrerseminar am Steinhauerdamm, die er 1908 beendete. Schon als Seminarist und auch noch als junger Lehrer engagierte Jöde sich im Hamburger „Volksheim“, 1901 von Walther Classen nach dem Vorbild der Londoner Toynbee Hall gegründet, um einen Ort der Verbindung zwischen gebildetem Bürgertum und Arbeiterschaft zu schaffen. In dem Gedanken, musikalische Bildung auch in bildungsferne Schichten zu tragen, zeigt sich ein frühes gesellschaftliches Engagement des angehenden Musikpädagogen. Schon während der Lehrerausbildung begann Jöde auch mit umfangreichen Volksliedsammlungen, die er lebenslang weiterführte, und beschäftigte sich autodidaktisch mit musikwissenschaftlichen und ethnologischen Fragen. Die Hinwendung zur Musik als Hauptgegenstand seines Wirkens war für Jöde allerdings keineswegs a priori klar: Seine Interessen waren vielfältig, und er fühlte sich während seiner Ausbildung zunächst in gleicher Weise auch zur Bildenden Kunst hingezogen.
Im Anschluss an die Ausbildung trat Jöde eine Hilfslehrerstelle an einer Mädchenschule in Hamburg-Barmbeck (heute: Barmbek) an, wechselte aber schon im darauffolgenden Jahr (1909) aus dem staatlichen Dienst an eine Privatschule und wurde für fünf Jahre Lehrer an der liberalen Wahnschaff-Realschule (Neue Rabenstraße). Dort lehrte er schwerpunktmäßig Musik und Zeichnen. Ab 1914 unterrichtete Jöde wieder an einer staatlichen Schule, wurde jedoch im Februar 1915 zum Kriegsdienst einberufen. Eine Verwundung, die er als Gefreiter des Infanterieregiments 264 vor Dünaburg (Daugavpils/Lettland) erlitt, machte ihn im Oktober desselben Jahres untauglich für weiteren Fronteinsatz. So war er ab 1916 wieder als Lehrer im Staatsdienst tätig. Außerdem engagierte er sich in diesen Jahren besonders für die Hamburger Gruppe des „Zugvogels“ (Hamburger Bund für Jugendwandern), zeitweilig war er auch Bundesleiter dieser jugendbewegten Organisation.

Jöde partizipierte als Junglehrer an den in Hamburg besonders intensiven reformpädagogischen Bestrebungen, unterhielt Kontakte zu Gustav Wyneken und zählte – zusammen mit Friedrich Schlünz und Max Tepp – zum Kern des sogenannten „Wendekreises“, einer Ende 1918 gegründeten, revolutionären und „schulrevolutionären“ Gruppierung von knapp 20 Lehrern, die fast alle auch in der Jugendbewegung verwurzelt waren. In einem Schulexperiment erhielt dieser Kreis die Möglichkeit, seine Vorstellungen umzusetzen: Die 1919 eröffnete Hamburger „Wendeschule“ (Breitenfelderstraße/Eppendorf), deren Kollegium sich fast vollständig aus Pädagogen des „Wendekreises“ zusammensetzte, wurde von Lehrplanbindungen befreit und erhielt den Status einer Versuchsschule. Das Schulleben konnte nach eigenen Ideen neu gestaltet werden: Der Lehrer, verstanden als Freund, öffnete dem Schüler eigene Entwicklungsmöglichkeiten, die dieser in Selbsttätigkeit erkundete; alle Einschränkungen durch Stoffvorgaben wurden abgelehnt, es wurden keine Schulbücher benutzt, Unterrichts- und Schulstrukturen überhaupt weitestgehend aufgehoben. Allerdings kam es schon bald zu massiven Spannungen im Kollegenkreis, der Erfolg der Schule wurde stark hinterfragt, die Fluktuation innerhalb des Kollegiums war groß. Zusammen mit Max Tepp und drei weiteren Lehrern wanderte Jöde 1920 von der „Wendeschule“ ab, um in der Lüneburger Heide (bei Holtorf) ein noch radikaleres pädagogisches Experiment aufzubauen: Der neu gegründete „Wendehof“ sollte als privates Reforminternat eine vollständige Lebensgemeinschaft von Lehrern und Schülern im ländlichen Zusammenleben realisieren. Dass Jöde zu dieser Zeit – wie auch anderen Lehrern der „Wendeschule“ – ein Disziplinarverfahren anhing, weil er den Eid auf die Reichsverfassung verweigert hatte, begünstigte diesen Schritt, der von einer Beurlaubung begleitet war. Doch der „Wendehof“ scheiterte und musste schon nach einem knappen halben Jahr mit einer Handvoll Schülern seine Arbeit wieder aufgeben. Jöde, der im Dezember 1920 schließlich den zuvor verweigerten Eid auf die Reichsverfassung ableistete, nutzte die Zeit zur Weiterbildung: Von Oktober 1920 bis zum Oktober 1921 studierte er, wiederum beurlaubt, Musik in Leipzig und war Schüler von Hermann Abert. Promotionspläne scheiterten jedoch an mangelnden akademischen Voraussetzungen. Nach Hamburg zurückgekehrt, wurde Jöde zusätzlich zum eigenen Schuldienst auch in der Lehrerbildung eingesetzt und gab Fortbildungskurse für Musikerziehung.

Parallel zur frühen Berufstätigkeit als Lehrer und Dozent in der Hamburger Lehrerbildung lieferte der umtriebige Fritz Jöde entscheidende Anstöße für jene Bewegung, die unter dem Begriff „Jugendmusikbewegung“ bekannt werden sollte. 1918 gab er den Band „Musikalische Jugendkultur“ (Verlag Adolf Saal, Hamburg) heraus, eine Aufsatzanthologie, die von der singenden und musizierenden Wandervogeljugend den Aufbau einer wirklichen musikalischen Kultur forderte. Im darauffolgenden Jahr wurde Jöde Obmann der in Erfurt gegründeten „Neudeutschen Musikergilde“, aus der sich in den Folgejahren die um Jöde als Leitfigur zentrierte „Musikantengilde“ entwickelte: Mit ihr formte sich ein bald reichsweites Netz von Sing- und Musizierkreisen im Laiensektor. Zu einer der wichtigsten Publikationen dieser Jahre zählte Jödes Schulliederbuch „Der Musikant“, das in Einzelteilen ab 1922 erschien (1924 zu einem Band zusammengefasst). Dieser Band ist ein Meilenstein auf dem Weg zu dem schulischen Musikunterricht, der Jöde vorschwebte: Musikunterricht, der ein breites musikalisches Spektrum vom Kinderlied bis zu Johann Sebastian Bach berücksichtigt, der sich also nicht auf das Einüben eines überkommenen Liedrepertoires im Alltagsrahmen beschränkt, sondern anspruchsvoller Musikausübung den Boden bereitet. Das Konzept der Selbsttätigkeit, Bestandteil aller pädagogischen Reformbestrebungen der Zeit, blieb dabei fundamental.

Das Jahr 1923 brachte einschneidende Veränderungen: Jöde wurde von Leo Kestenberg, Referent für Musik im Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, nach Berlin berufen und erhielt eine Professur an der kurz zuvor gegründeten Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin-Charlottenburg – eine Stellung, die er bis zum Frühjahr 1935 bekleidete. Jödes Tätigkeit in Berlin in den darauffolgenden Jahren markiert die Hochphase der Jugendmusikbewegung. Viele wichtige Entwicklungen nahmen hier ihren Ausgang und waren unmittelbar mit Jöde verbunden: Jöde unterrichtete in der Charlottenburger Akademie angehende und sich fortbildende Volksschullehrer. Er gründete und leitete die mit der Akademie verbundene Jugendmusikschule in Charlottenburg, die 1923 als erste Jugendmusikschule überhaupt ihre Pforten öffnete. Im selben Jahr wurde in Hamburg die erste Volksmusikschule eröffnet, deren Gründung Jöde vor seiner Berufung nach Berlin noch mit vorbereitet hatte. Auch die Ausbildung von Volks- bzw. Jugendmusikschullehrern wurde – nicht zuletzt mit dem 1930 eröffneten „Seminar für Volks- und Jugendmusikpflege“ – in den Fokus genommen. Jöde begründete 1926 in Berlin das niederschwellige Beteiligungsformat des „Offenen Singens“ (oder: Offene Singstunde). Richtungsweisende Reichstagungen der Musikantengilde, die für die Vernetzung der Bewegung von entscheidender Bedeutung waren, wurden im Jahresrhythmus abgehalten, angefangen von der Tagung auf Burg Lobeda 1924. Zu den wichtigsten Errungenschaften der Reichstagungen gehörte ab 1926 die Zusammenarbeit mit Paul Hindemith, der als bekanntester zeitgenössischer Komponist galt und dessen Hinwendung zur Jugendmusikbewegung zugleich einen erheblichen Prestigegewinn mit sich brachte. In den Jahren 1927 und 1928 kam es bei den Tagungen der Musikantengilde in Lichtental sogar zur Zusammenarbeit mit der „Deutschen Kammermusik Baden-Baden“, dem bedeutendsten Festival für Neue Musik, zu dessen Veranstaltern auch Hindemith gehörte. Es kennzeichnet Jödes Denk- und Arbeitsweise, dass er immer wieder neue Wege und Formen suchte, um seine Ideen umzusetzen. Hierzu zählt etwa auch der – nicht unumstrittene – Einsatz des Radios, das Jöde ab 1930 für Radiosingstunden nutzte. Jöde war in den 1920er Jahren die unangefochtene Leitfigur der Musikantengilde bzw. der Jugendmusikbewegung überhaupt. (Walther Hensel, der führende Kopf der Finkensteiner Bewegung, die als zweite Großströmung der Jugendmusikbewegung gilt, stand Jöde an Bedeutung letztlich nach, weil er keine entsprechenden institutionellen Verankerungen suchte und damit auch geringere Wirkungsmöglichkeiten hatte.) Auch über die zahlreichen Schriften und Noteneditionen, für die Jöde als Autor und Herausgeber verantwortlich zeichnete, verbreiteten sich die Ideen der Jugendmusikbewegung rasant, die weit über die zunächst angesprochene Jugend hinausreichte. So formuliert Jöde 1924: „Das Ziel der Neuorganisierung einer Musikerziehungsarbeit in diesem Sinne ist nichts Geringeres als die Wiederbelebung einer tätigen Anteilnahme an der Musik in allen Schichten unseres Volkes“ (Fritz Jöde, Musikerziehung, in: Melos, 1924, S. 17-27, hier S. 26.)

Im Frühjahr 1932 wurde eine manifest verleumderische Pressekampagne gegen Jöde und die Jugendmusikbewegung losgetreten: Obwohl Jöde nie einer Partei angehört hatte, wurden ihm parteipolitische, sozialistische Ziele vorgeworfen, immer wieder wurde seine Berufung durch den Juden Leo Kestenberg hervorgehoben, in verschiedensten Facetten wurde zudem der Vorwurf des Dilettantismus und der Kulturverachtung und -zersetzung erhoben, getragen von diffamierenden Behauptungen über die Jugendmusikbewegung ohne jeden Bezug zur Realität (eine Zusammenstellung der Angriffe, die Jöde auch selbst kommentiert hat, findet sich in seinem Nachlass, besonders AdJb A 228 Nr. 1269). In Jödes Haus in Berlin-Lankwitz fand im Frühjahr 1933 eine informelle Sitzung statt, bei der sich einige Akteure der Jugendmusikbewegung darüber berieten, wie man sich unter dem nationalsozialistischen Regime positionieren solle. Fritz Jöde habe, wie sich u.a. Wolfgang Stumme später erinnert, zumindest die Jüngeren zur Mitarbeit im Rahmen des NS-Staates aufgefordert, um die Jugendmusikarbeit fortsetzen zu können (s. Brief von Wolfang Stumme an Heinrich Schumann, 22.8.1980, AdJb A 228 Nr. 120). Die bloße Tatsache einer derartigen Zusammenkunft weist aber bereits darauf hin, dass sich die Bewegung keineswegs selbstverständlich in die Arme des neuen Regimes warf, sondern zumindest bei einem Teil der Teilnehmer, darunter auch Jöde selbst, erhebliche Vorbehalte bestanden – was allein schon angesichts der fortdauernden rechten Kampagne gegen Jöde und die Jugendmusikbewegung nicht verwundern kann.

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Informationen / Notizen

Zusatzinformationen 

(Fortsetzung Biografie)

Für Jöde begann eine tiefe Lebenskrise: Massive Anfeindungen durch die Presse und offizielle NS-Stellen im „Fall Jöde“ verbanden sich mit einem Verfahren gegen ihn, das 1935 zur Suspendierung von seinen Berliner Aufgaben und 1936 zur Entlassung führte. Im Hintergrund stand eine konkrete persönliche Verfehlung, die Annäherung an einige Chorsängerinnen. Aber Jödes Lesart, nach der sich die Verfolgung dieser Angelegenheit mit der politischen Absicht verquickte, ihn weitgehend auszuschalten, besitzt im Blick auf den Aktenbestand einige Plausibilität. An Hilmar Höckner, der gerüchtehalber Anstößiges gehört hatte und um Erklärung bat, schrieb Jöde am 8.1.1936: „Ja, ich bin damals beurlaubt, weil ich vor Jahren ein paar Mädel meines Singkreises geküsst habe. Das ist alles. [...] Nun ist es so gewesen, dass die ganze Beurlaubung und das Disziplinarverfahren, dem ich zur Zeit unterworfen bin [...] doch so mit dem Kampf gegen meine Arbeit verbunden ist, dass eins vom anderen nicht zu trennen ist. Das magst Du allein daraus ersehen, dass 8 Tage vor meiner Beurlaubung ein Wink aus dem Braunen Haus in München kam, man wolle mich nunmehr endgültig kulturpolitisch fallen lassen [...] Jedenfalls ist es so, dass ich nicht öffentlich auftreten darf, und dass man mir auch meine Auslandskurse verboten hat, weil man mit Recht fürchtet, dass ich – wie mir direkt gesagt wurde – noch mehr Erfolg haben würde, indem sich nämlich jetzt auch noch alle diejenigen an mich hängen würden, die etwas gegen Deutschland haben. Lieber Hilmar, die Zahl scheint nicht gering zu sein; denn sonst würde man bei dem, der doch eine deutsche neue Musikpflege auf die Beine stellte, auf die sich heute alle neuen Organe stützen, nicht solche Besorgnis zu haben brauchen. Du fühlst, wie hier vieles verknotet ist [...]“ (in AdJb A 228 Nr. 498). Die NS-Agitation gegen Jöde belegt unter anderem der überlieferte vierseitige Entwurf einer „Kampfschrift gegen Jöde von der Fachgruppe Musikerziehung im Kampfbund für deutsche Kultur“ aus dem August 1934, der nach Behandlung der Themenabschnitte „Jöde als politische Persönlichkeit“, „Jöde als Dissident“, „Jöde als Musikerzieher“, „Jöde und das deutsche Volkslied“, „Jödes Schriften“ und „Jöde im Zeichen der Konjunktur“ zu dem Fazit findet: „Aus obigen Ausführungen ergibt sich, dass Jöde einer [sic] der schlimmsten Konjunkturerscheinungen und einer der gefährlichsten Schädlinge der deutschen Musikerziehung und des deutschen Volksliedgutes ist. Da Jöde die verderbliche Gabe besitzt, mit seinen Vorführungen musikalischen Laien Sand in die Augen zu streuen und die leicht begeisterte Jugend mit Rattenfängerkünsten für seine oberflächliche Musikerziehung zu gewinnen, ist seine Tätigkeit bereits zum Verhängnis für die deutsche Musikkultur geworden!“ (in AdJb A 228 Nr. 1391).

Ein generelles Berufsverbot erhielt Jöde nie. Seine Publikationstätigkeit konnte er als freischaffender Autor weitgehend fortsetzen, selbst zu einzelnen NS-Veranstaltungen wurde er öffentlichkeitswirksam als Singleiter oder Referent hinzugezogen. Sing- und Musizierwochen im In- und Ausland blieben – von Ausnahmen abgesehen – erlaubt, bedurften allerdings jeweils einer ausdrücklichen Genehmigung. In den Jahren bis zum Kriegsanfang weitete Jöde seine Auslandstätigkeit erheblich aus: Intensive Beziehungen baute er insbesondere nach Schweden auf, wo er wiederholt Musikkurse an der reformpädagogisch orientierten Siljanskola in Tällberg (Dalarna) gab und das Offene Singen („Ållsang“) einführte, wobei es auch zu exponierten Großveranstaltungen in Stockholm kam. Neben der Schweiz, wo er unter anderem im Volksbildungsheim auf dem Herzberg (Aargau) wirkte, bereiste Jöde in diesen Jahren auch Norwegen, Dänemark, Bulgarien, Jugoslawien und Ungarn und bemühte sich überall um einen Brückenschlag zwischen den Völkern durch die Musik.
Immer wieder aber kam es auch zu Repressalien, wurden Jöde etwa Genehmigungen für geplante Aktivitäten verweigert. Es sind mehrere Fälle nachweisbar, in denen Jöde sich dank seiner Verbindungen erfolgreich gegen Verbote zur Wehr setzen konnte, und wenn er in seinen Behördenschreiben wiederholt darauf hinweist, dass die Verweigerung einer Genehmigung angesichts seiner Bekanntheit eine erhebliche Außenwirkung hätte, trifft er gewiss einen neuralgischen Punkt. Das Bild, das sich aus den im Archiv überlieferten Akten ergibt, ist in der Tat das eines vorsichtigen Lavierens von Seiten der NS-Behörden, um Jödes Wirkungsspielraum zu minimieren, ohne durch ein entschlossenes Vorgehen den Widerstand seiner zahlreichen Unterstützer zu provozieren. Jöde ging dabei nie in erklärte Opposition: In strategischen Schreiben stellt er vielmehr immer wieder auch sein volksbildendes Wirken und seinen Bezug zum vaterländischen Liedgut heraus und suggeriert damit zumindest eine Nähe zu NS-Gedankengut. Überzeugter klingt dieser Ton in einem Gutachten, das Heinrich Schumann seinem Lehrer und Freund Fritz Jöde 1936 im Zuge des Verfahrens ausstellte: „Die Arbeit Fritz Jödes unter besonderer Berücksichtigung der musikalischen Volkstumsarbeit im nationalsozialistischen Staat“ (AdJb A 228 Nr. 8313).

Jöde, dem nach der Entlassung eine partielle Rentenzahlung für fünf Jahre zugesagt war, verlagerte seinen Lebensschwerpunkt von Berlin nach München, wo sein Schüler Hellmuth Seidler ihn beim Reichssender München beschäftigen konnte; Seidler war dort Leiter des Jugendfunks. Arbeitete Jöde zunächst verdeckt als „Paul Richter“, wagte man ab 1938 eine offene Beschäftigung als freier Mitarbeiter, allerdings nur vorübergehend. Die Reaktion erfolgte in Form einer vertraulichen Mitteilung der Reichssendeleitung am 8.7.1939 „an die herren intendanten aller sender“: „das ministerium für volksaufklärung - und propaganda, abtlg. Musik, teilt uns mit, dass es mit befremden festellt, dass seit geraumer zeit in den programmen des deutschen rundfunks der name und die mitwirkung des fritz j o e d e zu verzeichnen ist. auf grund ehemaliger sehr starker verbindungen zu juden und juedisch diktierten musikkreisen erscheint eine beschäftigung des obengenannten in keiner weise angebracht noch verstaendlich. [...] die obengenannte dienststelle des v-p.-ministeriums hat den herrn ministerialdirigenten dr. schloesser, als chef des kulturamtes der reichsjugendführung, davon in kenntnis gesetzt, wodurch die obengestellte forderung auf nichtbeschäftigung des ‘‘joede‘‘ im rahmen des jugend- und schulrundfunks besonders angebracht erscheint.“ (in AdJb A 228 Nr. 1391). Auch in diesem Fall wurde ein prominenter Fürsprecher bemüht, der Jöde seinen persönlichen Schutz zugesichert hatte, nachdem dieser 1937 eine Emigration nach Schweden oder in die Schweiz erwogen hatte: Ernst Schulte-Strathaus aus dem Stab von Rudolf Heß, der allerdings 1941 durch die Entwicklungen um Heß selbst in Ungnade fiel und im KZ landete.

Während dieser Jahre heiratete Jöde – nach der Trennung von der ersten Frau Betty – seine zweite Frau Hilde (1938). Der gemeinsame Sohn Ulf wurde 1940 geboren. 1940 siedelte Jöde auch nach Salzburg über und wurde Dozent für Volksliedkunde und Chorleitung am Mozarteum, außerdem leitete er den als Spielschar der HJ unterstellten Kinderchor des Mozarteums und erhielt in diesem Zusammenhang den Rang des Gefolgschaftsführers. Für die Salzburger Stelle trat Jöde – eigenen, durchaus glaubwürdigen Bekundungen zufolge schweren Herzens – in die NSDAP ein. Mit seiner eigenen Kündigung der Salzburger Stelle 1943, für die er offiziell gesundheitliche Gründe anführte, kam er der vom Gaupropagandaamt betriebenen und wenige Tage später tatsächlich noch erfolgten Kündigung zuvor (vgl. bes. Jödes Bericht "Die seltsamen Geschehnisse vom Mai 1943 in Salzburg", AdJb A 228 Nr. 1386). Jödes eigene, vermutlich in der unmittelbaren Nachkriegszeit verfasste Berichte deuten auf zunehmende Probleme mit der Salzburger Parteileitung während seiner Arbeit am Mozarteum hin, er erwähnt Verhöre durch die Gestapo und Hausdurchsuchungen mit Beschlagnahmung von Korrespondenz („Kleiner Aufriss über meinen Kampf mit dem Nationalsozialismus“, o.J., Typoskript, 2 S., AdJb A 228 Nr. 1394). Bereits am 19. Mai 1943, am Tag nach Erhalt seines – durch die eigene vorhergehende Kündigung gegenstandslosen – Kündigungsschreibens, formulierte Jöde ein Schreiben an den Leiter der Parteikanzlei der NSDAP in München, das an Eindeutigkeit nicht zu wünschen übrig lässt: „Da meine Lehrtätigkeit am Mozarteum mich (durch die Leitung der Mozartspielschar, die ich dort übernehmen musste) nur zwangsläufig in die Partei hineingebracht hat, sehe ich jetzt keine Veranlassung mehr, ihr weiterhin anzugehören. Ich melde darum hiermit unter gleichzeitiger Beifügung meiner Parteikarte meinen Austritt an [...]“ (AdJb A 228 Nr. 1392.)

Nach einer beruflichen Alternative hatte Jöde, unter Hinweis auf prekäre wirtschaftliche Verhältnisse, schon vorher gesucht, wovon er nun profitierte: Jöde wurde noch 1943 an die Braunschweigische Staatsmusikschule berufen und übernahm auch die Leitung des mit der Musikschule verbundenen Musikheims in Schloss Schliestedt (Schöppenstedt) bis zur Schließung der Musikschule 1944. Ein erneuter Kriegseinsatz im Flugzeugbau in Ainring blieb 1944 Episode. Das Kriegsende erlebte Jöde in Bad Reichenhall, wo er schon 1941 während seiner Salzburger Zeit Quartier genommen hatte. Hier arbeitete Jöde in der Nachkriegszeit als Kantor der Evangelischen Kirche. Bereits 1947 wurde er aber an die Hamburger Schulbehörde berufen und übernahm das Amt für Schul- und Jugendmusik sowie bald darauf auch die Leitung des Seminars für Privatmusikerziehung an der Städtischen Musikschule, 1950 zur Hochschule für Musik transformiert. Ebenfalls 1947 betrieb er mit zahlreichen alten Mitstreitern die Neugründung der Musikantengilde und übernahm zunächst erneut deren Leitung. Maßgeblich beteiligt war Jöde, der in allen Aufbauarbeiten an seine alten Netzwerke anknüpfen konnte, auch 1949 an der Konstituierung des „Verbandes Deutscher Schulmusikerzieher“ (VDS).

Auch nach seiner Pensionierung 1952 engagierte sich Jöde weiter im Bereich der Jugend- bzw. Laienmusik. Jödes Bereitschaft, mit der Hohner AG in Trossingen zusammenzuarbeiten und sich den ehemals in der Jugendmusikbewegung verpönten Volksmusikinstrumenten zuzuwenden, um auf diese Weise musikalische Breitenarbeit zu betreiben, führte in den 1950er Jahren allerdings zu erheblichen Konflikten mit früheren Weggefährten – Konflikte, die Jöde ein Stück weit isolierten.
Eine der wichtigsten Initiativen Jödes in den späten Jahren war die Gründung des Archivs der Jugendmusikbewegung in Hamburg 1959 (heute Bestand A 228 im AdJb). Jödes eigene Sammlungen bildeten die Grundlage des Archivs. Viel Zeit ging in die Akquise von Material, in Briefwechsel oder Tonbandaufnahmen mit verschiedenen Interviewpartnern; in Heinrich Schumann und Ekkehart Pfannenstiel besaß Jöde hier treue Mitstreiter. Wenn auch der Anspruch bestand, die Jugendmusikbewegung in ihrer ganzen Breite abzubilden, dürfte der Wunsch, das eigene Lebenswerk zu dokumentieren, bei Jöde durchaus eine nennenswerte Rolle gespielt haben gerade in einer Zeit, in der er die Führungsrolle an Jüngere wie Gottfried Wolters oder Wilhelm Twittenhoff hatte abgeben müssen. Unzählige Menschen aber blieben Jöde in großer Dankbarkeit für seine Verdienste um die Jugendmusikbewegung verbunden, was die Gratulationsschreiben zu seinen runden Geburtstagen (AdJb A 228 Nr. 1294 und Nr. 1354) ebenso eindrucksvoll dokumentieren wie die Kondolenzschreiben an seine Witwe (AdJb A 228 Nr. 1298).

Nach Jahren, die durch verschiedenste gesundheitliche Probleme geprägt waren, starb Fritz Jöde am 19. Oktober 1970 im Alter von 83 Jahren in seiner Vaterstadt Hamburg.

(Ute Brüdermann)